Geologie: Vorstoß in bislang unerreichte Tiefen der Erde

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Es geht abwärts: Techniker und Geologen wollen zehn Kilometer tief in den Boden bohren – um erstmals bis in den Erdmantel vorzudringen. Dabei geht es um mehr als das technisch Machbare.

Professor Otto Lidenbrock war schon da, im Innern der Erde. Er ist in den isländischen Vulkan Snaefellsjökull und dann immer weiter in die Tiefe gestiegen. Dort bekam er große Champignons zu sehen, und er konnte Kämpfe zwischen schon ausgestorben geglaubten Dinosauriern beobachten.

Ganz so spektakulär wie die Erlebnisse der Titelfigur in Jules Vernes Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ dürften die Funde der Forscher nicht sein, die in bislang unerreichte Tiefen vorstoßen wollen. Und auch ganz so tief werden sie nicht in unseren Planeten dringen können wie in dem Science-Fiction-Roman.

Wissenschaftler weltweit arbeiten daran, zumindest die Erdkruste zu durchbohren, um erstmals in den äußeren Erdmantel zu dringen. Das ist mehr als ein Test des technisch Machbaren: Sie wollen damit erkunden, wie die Erde entstanden ist und wie sich Naturkatastrophen besser vorhersagen lassen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihre Finanzierungszusagen bekräftigt, die beteiligten Wissenschaftler erstellen Machbarkeitsstudien und tüfteln aus, welche Technik geeignet ist.

Bohrung kostet 1,5 Milliarden Dollar

Ein Konsortium aus vielen Hundert Wissenschaftlern arbeitet das International Ocean Discovery Program (IODP) aus, das vom September 2013 bis 2023 laufen soll. Ein Projekt ist die insgesamt etwa 1,5 Milliarden Dollar teure Bohrung in den Mantel, die frühestens in sechs Jahren starten könnte.

Vorher müssen die Forscher jedoch einen geeigneten Ort für die Bohrung finden. Logistisch am einfachsten wäre die Bohrung an Land, doch hier ist die Kruste zwischen 30 und 60 Kilometern dick.

„Trotz aller technischen Herausforderungen bietet sich das Bohren in Ozeanen auch an, weil dort die Erdkruste deutlich dünner ist als an Land“, sagt Ursula Röhl, Geologin am Marum der Universität Bremen, die am IODP beteiligt ist. Vor den Küsten Costa Ricas, Mexikos und Hawaiis haben die Forscher bereits geeignete Orte ausgemacht.

Zum Bohrloch weit draußen auf See kommt die Technik auf Spezialbooten wie dem japanischen Bohrschiff „Chikyu“. An Bord ist Platz für ein zehn Kilometer langes Bohrgestänge. In der Mitte ist ein etwa 70 Meter hoher Bohrturm montiert.

Schiff muss exakt auf Position gehalten werden

Über GPS halten unter dem Schiff angebrachte Spezialpropeller, die sich um 360 Grad in der Horizontalen schwenken und fast stufenlos einstellen lassen, das Schiff exakt auf Position – damit das Bohrgestänge nicht abknickt. Dann wird der Bohrer durch das Meerwasser hindurch auf dem Meeresboden angesetzt, der Kopf aus Siliziumcarbid dreht sich in die Kruste.

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Der eigentliche Bohrer ist umgeben von einer Hülle, in der eine Schwerelösung zirkuliert. Das stabilisiert die gesamte Vorrichtung. Der um das mehr als Hundertfache höhere Druck gegenüber der Erdatmosphäre stellt kein großes Problem dar, eher die vom etwa 6000 Grad Celsius heißen Erdinnern ausgestrahlte Hitze.

„Der Bohrer läuft nicht heiß. Aber die Sonden, die auch nach unten gelassen werden, halten Temperaturen von höchstens 250 Grad Celsius aus“, sagt Jürgen Koepke, Mineraloge an der Leibniz-Universität Hannover. Die Sonden messen unter anderem Druck und Temperatur im Gestein.

Das IODP-Projekt sieht vor, dass es nach Passieren der Erdkruste nur noch etwa 500 Meter tief hinein in den äußeren Erdmantel geht. Bis zum Mittelpunkt der Erde wäre es noch ein weiter Weg: Es folgen bis hinab auf 2900 Kilometer der untere Erdmantel, dann der äußere sowie der innere Kern, der etwa 6370 Kilometer weit entfernt ist.

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Rekord liegt bei 7740 Metern unter der Meeresoberfläche

Für derart tief gehende Bohrungen steht derzeit keine Technologie zur Verfügung. Der mit dem Schiff „Chikyu“ erreichte Rekord, aufgestellt vor wenigen Monaten, liegt bei 7740 Metern unter der Meeresoberfläche.

Viel tiefer als zwei Kilometer ins Gestein sind die Forscher jedoch nicht gekommen. An Land ist es bislang etwa zwölf Kilometer in die Tiefe gegangen, weit in die Erdkruste hinein, aber weit vom Erdmantel entfernt.

Das Anstechen der Erdkruste ist gefahrlos: „Zu plötzlichen Druckentladungen und Explosionen wie bei der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ 2010 kann es bei der Bohrung in den Erdmantel nicht kommen. Die Ölfirmen bohren Lager von Kohlenwasserstoffen an, die unter starkem Druck stehen.

Beim IODP-Projekt dagegen wird in Hartgestein gebohrt, da sind keine mit Gasen gefüllten Hohlräume zu erwarten“, sagt Koepke. „Erdbeben kann man mit solchen Bohrungen definitiv nicht auslösen.“

Im Verhältnis zu den gewaltigen Kräften im Erdinnern sei die Bohrung lediglich ein Nadelstich. Vorsichtshalber aber sitzt ein sogenannter Blow-out-Preventer wie ein Pfropfen am Gestänge, um das Loch abzudichten, sollte sich unerwartet Druck aus einer Luftkammer im Meeresboden entladen.

Für die Wissenschaftler wie Geologen und Geophysiker gibt es ohnehin kaum befriedigende Alternativen zu den Bohrungen. „Wir finden in Gebirgen auch Gesteine, die tatsächlich aus tieferen Erdschichten stammen. Sie zeigen aber meist nicht mehr die ursprüngliche Zusammensetzung: Durch Druck- und Temperatureinflüsse über die Zeit wurden sie verändert“, sagt Röhl.

Wie es im Inneren der Erde aussieht

Ein direkter Zugriff auf den Erdmantel dürfte detailliertere Erkenntnisse bringen als bislang. „Wir wissen noch immer nicht genau, wie es im Innern der Erde aussieht, wie zum Beispiel der Aufbau der Erdkruste oder die Erdmagnetisierung funktionieren. Ohne eine solche Bohrung kommen wir nicht weiter, so können wir die großen Fragen der Geologie nicht beantworten“, sagt Koepke.

Aufschlüsse könnte es auch zur Entstehung von Erdbeben geben. Im Idealfall ließe sich ein Sensorensystem installieren, das rechtzeitig die Bewohner des betroffenen Gebiets vor einem Erdbeben warnen kann.

Zudem ließe sich mehr erfahren über die Entstehungsgeschichte der Erde, ob zum Beispiel Wasser und Mikroben aus dem All stammen oder sich erst im Laufe der Erdgeschichte entwickelt haben.

„Das IODP-Projekt verfolgt keinen Selbstzweck. Mit den Fördergeldern betreiben wir nicht nur Grundlagenforschung, wir entwickeln neue Technologien und bilden zahlreiche Studenten aus“, sagt Koepke.

Seine Kollegin Röhl aus Bremen ergänzt: „Wir erhoffen uns außerdem Aufschlüsse über Klimaänderungen in der Vergangenheit und können damit auch Aussagen treffen zum Beispiel zur Klimaerwärmung unter rein natürlichen Bedingungen – ohne den Einfluss des Menschen.

Diese Daten aus der fernen Vergangenheit bilden eine breite Spanne von Klimazuständen ab und sind besonders wichtig, um die Genauigkeit von Klimamodellen zu prüfen. Damit erhöht sich deren Aussagekraft für Klimaprognosen.“ So hätte das technisch aufwendige und kostspielige Projekt tatsächlich einen weit über das Interesse von Geologen hinausreichenden Nutzen.

Quellen: IODP/Berliner Morgenpost vom 08.07.2012

Weiterer Artikel:
Reise ins Innere der Erde (Video-Dokumentation)

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