Der Federstrich der Kolonialisten: Fallen die Grenzen in Nahost?

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Seit 100 Jahren existieren im Nahen Osten Grenzlinien, die von zwei Diplomaten in einem Geheimdeal wie auf dem Reißbrett gezogen wurden. Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 ist für Islamisten eine Dauerkränkung durch den Westen.

Die Kämpfer der sunnitischen Jihadistenbewegung „Islamischer Staat“ (IS) beherrschen das Kriegshandwerk, in wenigen Wochen haben sie von Syrien kommend den irakischen Norden überrannt und stehen nun nach einem beängstigend effizienten Kriegszug vor den Toren Bagdads. Sie wissen auch, wie man Propaganda betreibt.

Vor wenigen Wochen wurde ein Foto mit dem Kampftitel „Die Zerstörung von Sykes-Picot“ im Internet verbreitet, das Krieger zeigt, die die Grenzwälle an der syrisch-irakischen Grenze niederwalzen (Titelbilds: Karte: Sykes-Picot). Der Text zu dem Bild: „Die Löwen des islamischen Staats reißen die Barrieren ein zwischen dem Irak und Großsyrien!“ Sie legen es darauf an, die fast einhundert Jahre alten Grenzziehungen im Nahen Osten aufzuheben und ein „Kalifat“ zu errichten, das von Nordsyrien tief in den Irak bis zu den Grenzen Jordaniens hineinragt.

Die Grenze zwischen den Ländern sei ein künstliches Konstrukt, entworfen von imperialistischen europäischen Kolonialmächten. Sind die radikalen Islamisten mit dem Aufbau ihres neuen Staates erfolgreich, droht ein Ende der politischen Ordnung im Nahen Osten. Die aus dem Jahr 1916 stammende Grenzziehung, die auf einen Deal der kriegsführenden Mächte Großbritannien, Frankreich und Russland zurückgeht, wäre hinfällig.

Zerren um die Beute. In den Schützengräben an der Westfront flossen im Kampf um jeden Quadratmeter noch Ströme von Blut, als in den Regierungsbüros der militärischen Großmächte Großbritannien und Frankreich bereits um das riesige Areal der damaligen osmanischen Provinz Mesopotamien an den Flüssen Euphrat und Tigris geschachert wurde: das Zerren um die Beute begann bereits, als diese noch rein fiktives Kapital war; der Bär, dessen Fell verteilt wurde, war noch nicht geschossen. Doch die Aussichten standen nicht schlecht: Es war abzusehen, dass nicht nur Österreich-Ungarn ein Opfer der imperienzertrümmernden Kraft nationaler Autonomiekämpfe sein würde, auch dem multiethnischen und multireligiösen Osmanenreich ging es an den Kragen. Aus dem europäischen Balkan, wo es jahrhundertelang ein politischer Machtfaktor gewesen war, war es bereits verschwunden, aber im Nahen und Mittleren Osten war es 1914 noch ein imposantes Reich. Da war für die Sieger etwas zu holen. Das Pikante daran: Das Osmanische Kalifat existierte noch, als es bereits als Beute aufgeteilt wurde, es reichte noch bis an den Suezkanal.

Das Hauptinteresse im Gerangel um das Erbe des „kranken Mannes“ am Bosporus, das worauf Briten, Franzosen und der sich dazugesellende Parvenü USA lüsterne Blicke warfen, war das „schwarze Tigrisgold“, der Reichtum der mesopotamischen Ölquellen. Besonders im Gebiet rund um Mossul und Kirkuk im Nordirak vermutete man märchen-haft reiche Öllagerstätten, „A Second Baku in the Making“ schrieb die britische Ölzeit-schrift „London Petroleum Review“ im Mai 1914. Die großen Ölfelder der Arabischen Halbinsel waren noch unentdeckt. So wurde der Kampf um den Zugang zu den Ölfeldern im Nahen Osten die Hauptantriebsfeder der westlichen Großmächte.

Besonders Großbritannien machte sich Sorgen wegen seiner Ölabhängigkeit von den USA und des Ölbedarfs seiner Marine und entsandte mehr als eine Millionen Soldaten zu den nahöstlichen Kriegsschauplätzen. Doch auch das deutsche Reich wollte die Ölquellen erschließen, die Deutsche Bank errang eine Ölkonzession vom Sultan entlang der Bagdadbahn bei Mossul.

Eigentlich wollte die Türkei zu Kriegsbeginn 1914 neutral bleiben, trat aber dann als Verbündeter der Mittelmächte am 29. Oktober 1914 in den Krieg ein. Viel erwarteten sich die Deutschen nicht: „Die Türkei ist militärisch eine Null!“ (Generalstabschef Moltke), aber immerhin gelang es, vier Jahre lang zahlreiche Entente-Truppen auf den Kriegsschauplätzen des Ostens zu binden und damit der Westfront zu entziehen. Die anfängliche Skepsis wich sogar einem Optimismus, als im November 1914 der Kalif dann den Jihad gegen Briten, Franzosen und Russen ausrief. Eine Erhebung des gesamten Islam gegen die Entente beflügelte die deutschen Planungen. Doch der erhoffte Aufstand in der islamischen Welt blieb aus, der „Heilige Krieg“ verpuffte, die Bindekraft des Islam war nicht groß genug.

Big Game der Briten. Auch die Briten versuchten, die verschiedenen Stämme im Nahen Osten für sich zu gewinnen und waren letztlich dabei erfolgreicher als die Deutschen. Ihnen kam der antiosmanische Nationalismus der Araber zugute. Sie hatten den berühmten T.E. Lawrence (den vielromantisierten „Lawrence von Arabien“), dem es gelang, die arabischen Stämme mit einer raffiniert eingefädelten Befreiungsideologie auf seine Seite zu ziehen, nämlich mit der Versprechen, einen eigenen unabhängigen arabischen Staat zu gründen.

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(Türkische Truppen 1914)

Beflügelt von den leichtfertigen Versprechungen der Briten kämpften die Araber gegen türkische und deutsche Truppen, doch die britisch-arabische Waffenbrüderschaft war eine leere Fiktion. Lawrence wurde von den Briten instrumentalisiert, sie dachten nicht im geringsten daran, sich an ihr Versprechen zu halten. Sie verrieten die Araber und teilten das Territorium des ehemaligen Osmanischen Reiches auf, eine riesige Staats-fläche von über 1,5 Millionen Quadratkilometern mit etwa 20 Millionen Einwohnern, neun Millionen davon muslimische Türken, sechs Millionen Araber, über eine Million Kurden. Ziel des britischen Big Game: Eine Verbindung der neu zu erschließenden Ölquellen um Kirkuk und Mossul mit den persischen Ölrevieren, die sich nach der Gründung der Anglo-Persian Oil Company bereits fest im Griff hatten.

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Die Aufteilung der anvisierten Beute im Nahen Osten wurde ausgehandelt durch eine Vereinbarung vom März 1916 zwischen Großbritannien und Frankreich, die als Sykes-Picot-Abkommen in die Geschichte einging, benannt nach den beiden Diplomaten Mark Sykes auf englischer und Francois Georges-Picot auf französischer Seite. Treibende Kraft war England, Motto: „Oil, money and politics“.

Die betroffenen Bewohner des Gebietes saßen bei diesem imperialistischen Schachspiel nicht mit am Tisch noch wurden sie angehört. Auf der von Sykes und Picot gezeichneten Landkarte wurden vier imperiale Einflusszonen mit Lineal und Zirkel quer durch das mesopotamische Gebiet gezogen, zwei davon standen jeweils direkt unter britischer bzw. französischer Kontrolle, zwei weitere waren von diese beiden Mächten kontrollierte Gebiete. Die Linie, die Sykes mit einem Federstrich zog, reichte von Kirkuk im heutigen Irak rund tausend Kilometer bis nach Haifa, zufällig genau entlang der späteren irakischen Ölpipeline.

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Sykes musste sich bald darauf vorwerfen lassen, von den Franzosen über den Tisch gezogen worden zu sein: Unerklärlicherweise fiel der nördliche Teil mit den vermuteten sagenhaften Ölschätzen rund um Mossul an Frankreich, die britischen Ölfinanciers, die selbstverständlich die ganze Zeit die Fäden zogen, waren düpiert. Durch Zusatzver-einbarungen wurden später auch Italien und Russland in das Geheimabkommen mitein-bezogen, jeweils mit eigenen Einflusssphären.

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Die USA wurden gar nicht informiert. Für Präsident Woodrow Wilson klang „Sykes-Picot“, als er schließlich davon erfuhr, wie „der Name einer neuen Teesorte“. Derlei imperialistische Packelei war jedenfalls unvereinbar mit seinem berühmten Vierzehn-Punkte-Programm: Der Bruch der Versprechen gegenüber den Arabern war unverträglich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Bekannt wurde das Geheimabkommen nach der Oktoberrevolution: Lenin öffnete die Archive und veröffentlichte das imperialistische „Schanddokument“ in der „Prawda“.

Hat der skrupellose Geheimdeal, wie oft behauptet, die meisten Probleme der arabischen Welt erst geschaffen? Üben die Jihadisten heute berechtigte späte Rache an der Arroganz der Kolonialisten? Die endgültige Zerschlagung des Osmanenreiches nach 1922 ist für sie ein Urverbrechen gegen den Geist des Islams. Das Konzept unabhängiger europäischer Nationalstaaten sei der Region aufgezwungen worden, sei nicht im Sinne ihres Propheten.

Nahostanalyst Kristian Brakel: Das Gebiet habe auch im Osmanischen Reich nie zu-sammengehört, „Irak und Syrien waren immer rivalisierende Zentren der verschiedenen islamischen Reiche.“ Die ethnischen und konfessionellen Trennlinien – Kurden, Sunniten, Schiiten – gab es im Gebiet des heutigen Irak schon vor 1916. Eine homogene Aufteilung des Landes sei angesichts der multiplen Ethnien und Religionen auf engstem Raum gar nicht möglich gewesen. Die Islamisten glorifizieren also eine Vergangenheit, die es nie gegeben hat. In den Schulbüchern der islamischen Welt sieht das freilich ganz anders aus.

Akteure und Fakten in Kürze

Francois Georges-Picot (1870-1951)
Mark Sykes (1879-1919)

Die zwei Diplomaten handelten 1915/16 eine territoriale Aufteilung der osmanischen Provinz Mesopotamien aus, die als Sykes-Picot-Abkommen in die Geschichte einging. Beteiligt waren die kriegführenden Mächte Großbritannien, Frankreich, Russland und Italien. Das Geheimabkommen wurde 1917 durch Lenin veröffentlicht.

Zitate

„Ich habe Transjordanien (seit 1950 Jordanien Anm.) an einem Sonntagnachmittag in Kairo mit einem Federstrich erschaffen.“
(Winston Churchill, 1921)

„Es gibt eine Menge am Imperialismus auszusetzen. Und viele der Probleme, mit denen wir heute fertig werden müssen, … sind die Resultate unserer kolonialen Vergangenheit. … Die eigenartigen Grenzlinien des Irak sind von den Briten gezogen worden. Die Balfour-Erklärung und die widersprüchlichen Zusagen, die wir den Palästinensern insgeheim zur gleichen Zeit wie den Israelis gegeben haben, sind auch so eine interessante Geschichte, aber eben nichts, was uns wirklich Ehre machen würde.“
(Jack Straw, britischer Außenminister, 2002)

„Entscheidend für Sykes-Picot ist nicht nur die geographische Aufteilung, sondern der kolonial geprägte Blick auf die Region nicht als Lebensraum von Millionen Menschen, sondern als geo-strategische Einflusssphäre.“
(Nahostexperte Kristian Brakel, 2014)

Quellen: diepresse.com vom 07.07.2014

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7 comments on “Der Federstrich der Kolonialisten: Fallen die Grenzen in Nahost?

  1. Federstrich der Kollonialisten!
    Betrachtet man das derzeitige wEltgeschehen, so wird eines immer wieder klar.
    Überall wo der Westen dirigiert, kommandiert, wo er früher Grenzen zog, wo er sich einmischt entstehen heute Probleme und Konflikte bis hin zu neuen Kriegen.
    Man kommt um die Erkenntis , den Eindruck nicht herum, wer sich da seit ewigen zwiten als Herrscher der welt aufspielt.
    Der Westen sollte langsam begreifen, auch seine Zeit läuft ab, das Diktat über die Völker der Welt , die Unterwerfung der Völker zum eigenen Vorteil und Reichtum läuft aus.
    Sie haben sich in der Vergangenheit , sowie auch in der Gegenwart nicht gerade mit Ruhm bekleckert
    Wieviel Unheil, Not und Elend, wieviele Kriege hat der Westen , haben die selbsternannten Kolonialherren auf dem Gewissen?
    Und moch immer reiten sie auf dem hohen Roß, als Herrscher über die Welt. Was für eine Arroganz!
    Es wird Zeit, abzusteigen und als gleichwertiger Partner mit der der Welt zu verhandeln, im gegenseitigen Interesse, zum gegenseitigen Nutzen.
    Wer zuspät denkt. den besteaft das Leben, auch den Westen mit seiner grenzenlosen Überheblichkeit und hinterhältigen Attacken auf andere Länder. Siehe Ukraine, jetzt Irak und auch anderswo.
    Der Westen ist immer dabei! Er liefert, heuert Söldner an , bildet aus und bezahlt. Sie lassen sozusagen kämpfen. Eines Tages werden sie die Rechnung dafür präsentiert bekommen.

  2. Dieser Churchill war ein verdammter Bluffsack. Leider kann er nicht mehr erleben, welchen Mist er gemacht und hinterlassen hat. Ich denke da bei Weitem nicht nur an den Nahen Osten. Auch wenn es nicht um Krieg und hohe (dumme) Politik ging, auch seine doofen Alltagssprüche, wie „Sport ist Mord“. Für ein dümmeres Vorbild für die Jugend muss echt man lange suchen… 🙁

  3. @thomas
    richtig, fast könnte man sagen, je kleiner das Hirn, um so größer der Posten.
    Man darf gar nicht näher darüber nachdenken. was hohe Regierungfunktionäre und Regierende u. Präsidenten damals für einen Schwachsinn von sich gegeben haben,
    Gelernt hat niemand was daraus.

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