Millionen junge Europäer ohne Job: Zukunft ungewiss

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In Europa sind 7,5 Millionen Menschen unter 25 Jahren seit Jahren ohne Job. Die Aussichten, dass sie jemals den Einstieg in die Arbeitswelt schaffen, sind schlecht. Trotzdem halten sie still.

Europas hohe Jugendarbeitslosigkeit ist eines der grossen Übel unserer Zeit. Vor allem im Süden des Kontinents droht es einer ganzen Generation das Leben zu vermiesen. Seine toxische Wirkung wird noch jahrzehntelang anhalten, selbst wenn sich die Lage irgendwann wieder bessern sollte. Aber das ist keineswegs sicher. 7,5 Millionen Europäer unter 25 Jahren haben keine Arbeit und keinen Ausbildungsplatz; europaweit beträgt die Jugendarbeitslosigkeit mehr als 21 Prozent, in Griechenland überschreitet sie die Marke von 50 Prozent, in Spanien liegt sie knapp darunter. Aber auch in einigen mitteleuropäischen und nördlichen Ländern, etwa in Belgien, Polen, Irland oder Schweden, ist mindestens jeder fünfte junge Erwachsene betroffen. Und in Wirklichkeit ist die Situation noch schlimmer, als es die Statistiken ausweisen. Denn es genügt, dass ein Jugendlicher eine einzige Stunde pro Woche arbeitet, ob bezahlt oder umsonst, um nicht mehr als erwerbslos zu gelten.

In dunklen Farben zeichnen deshalb Experten und Politiker die Lage. Hans Dietrich, Mitarbeiter des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, schreibt in einer Studie: «Die Gefahr einer verlorenen Generation wird zur furchteinflössenden Realität.» EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht von «einem der dramatischsten und bedrückendsten Phänomene unserer Zeit», während der französische Präsident François Hollande befürchtet, die Menschen könnten sich wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit «von Europa abwenden». Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, sieht in der Beschäftigungslosigkeit «ein Risiko für den sozialen Frieden».

Laut der EU belaufen sich die Kosten der Jugendarbeitslosigkeit, errechnet aus Unterstützungsgeldern, verminderter Wirtschaftsleistung und entgangenen Steuererträgen, jährlich auf 150 Milliarden Euro. Das sind 1,2 Prozent des europäischen Bruttoinlandproduktes.

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«Ihr seid hier unerwünscht»

Viele junge Arbeitslose haben eigentlich alles richtig gemacht und hätten zu besseren Zeiten problemlos eine Stelle gefunden. Sie haben studiert, Auslandsemester absolviert, Fremdsprachen gelernt. Ihr Ideal ist nicht die soziale Revolution, sondern die soziale Behaglichkeit. Sie sind fleissig, strebsam, ein wenig angepasst, aber statt belohnt zu werden, stehen sie vor verschlossenen Türen mit der Aufschrift: «Ihr seid hier unerwünscht». Sie studieren ein zusätzliches Fach oder belegen einen weiteren Kurs, nur um den Moment des Eintritts in den Arbeitsmarkt hinauszuzögern. Sie absolvieren schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika, immer und immer wieder. Sie leben noch mit 30 zu Hause, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Sie haben das Pech, zur falschen Zeit jung zu sein, und bleiben gefangen in einem Limbus zwischen Jugend und Erwachsenenalter.

Der Ökonom und Arbeitsmarkt­experte Ekkehard Ernst, der für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) arbeitet, einer UNO-Institution mit Sitz in Genf, sagt im Gespräch mit dem TA: «Selbst wenn junge Erwachsene nur kurzfristig arbeitslos sind, haben sie auch nach 10 oder 15 Jahren ein höheres Risiko, ihre Stelle zu verlieren. Und sie verdienen deutlich weniger als jene, die während einer Boomphase in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies, weil sie gezwungen sind, auch schlecht bezahlte Stellen anzutreten, für die sie überqualifiziert sind.» Noch düsterer ist das Szenario für junge Erwachsene, die es überhaupt nicht in den Arbeitsmarkt schaffen. Ihnen zerrinnt die Zeit zwischen den zwangsweise untätigen Fingern, denn schon in fünf oder zehn Jahren, wenn sie das 30. Altersjahr überschritten haben, werden sie sich ohne Arbeitserfahrung der Konkurrenz der dannzumal 20-Jährigen ausgesetzt sehen.

Das soziale Krebsgeschwür Jugendarbeitslosigkeit wuchert sich altersmässig nach oben, es lässt die Betroffenen verarmen und könnte ihnen später, nach einem ohnehin frustrierenden Leben, auch noch das Schicksal der Altersarmut bescheren. Laut einem Bericht der OECD haben junge Personen zwischen 18 und 25 während der Krisenjahre deutliche Einkommensverluste erlitten, während jene über 65 Jahre ihr Einkommen zu steigern vermochten.

Depressionen, Schlaflosigkeit

Eine kürzlich veröffentlichte Studie schwedischer und australischer Psychologen kommt zu folgendem Schluss: Personen, die zwischen ihrem 18. und 21. Lebensjahr arbeitslos waren, leiden auch 10 oder 20 Jahre später noch markant häufiger an Depressionen und Schlaflosigkeit als solche, denen diese Erfahrung erspart geblieben ist. Erwerbslosigkeit in einem höheren Alter hat hingegen keine messbaren Langzeitfolgen für das seelische Wohlbefinden.

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Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ist seit dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise stark gestiegen, doch sind neben konjunkturellen auch strukturelle Faktoren verantwortlich. Die Grundschulen sind in vielen Ländern schlecht und die akademischen Ausbildungsgänge zu praxisfern. Vor allem in Südeuropa und in Frankreich ist es eine Frage der Ehre, am Gymnasium und an der Universität abzuschliessen, obwohl ein grosser Teil der dabei erworbenen Fähigkeiten an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbei zielt. In Italien beträgt die Maturandenquote 70 Prozent, in Frankreich nahezu 80 Prozent. Was in vielen europäischen Ländern fehlt, ist ein funktionierendes duales Bildungssystem – also die Möglichkeit, nicht nur den gymnasial-universitären Bildungsweg zu beschreiten, sondern auch eine praxisnahe, sozial angesehene Berufsschule oder eine Lehre in einem Betrieb zu absolvieren.

Es ist bezeichnend, dass in Staaten mit dualem Bildungssystem – der Schweiz, Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Dänemark – deutlich weniger Jugendliche arbeitslos sind. Allerdings liegt auch in Deutschland der Anteil der jungen Erwachsenen, die in einem oft als «Warteschlaufe» bezeichneten Übergangssystem einen einjährigen Vorbereitungskurs absolvieren, bei nahezu 30 Prozent (Die Gutsherrenart der Arbeitsagentur gehört abgeschafft – Statistiken reiner Selbstbetrug). Der Wechsel von einem vorwiegend akademisch-universitär geprägten zu einem dualen Bildungssystem ist selbst dann langwierig, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Er bedeutet, mit althergebrachten bildungsbürgerlichen Traditionen zu brechen. Er ist für Staat und Privatunternehmen mit Investitionen verbunden und wirkt sich selbst im günstigsten Fall erst nach Jahren oder Jahrzehnten positiv auf den Arbeitsmarkt aus.

Ideologisch umstritten sind die Auswirkungen rigider Arbeitsgesetze. Die den deutschen Sozialdemokraten nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung hält regulierende Eingriffe für notwendig, weil sie jungen Arbeitnehmern den Zugang zu einer «verlässlichen, fair bezahlten Stelle erleichtern». Die konservative «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hingegen fordert: «Knackt den Kündigungsschutz!» Trotz Reformen geht etwa in Italien oder Spanien der Schutz der Beschäftigten teilweise zulasten jener, die auf der Strasse stehen. Es ist nachvollziehbar, dass es sich ein Unternehmer zweimal überlegt, ob er einen Berufsanfänger einstellen soll, wenn es ihm die Justiz erschwert, ihn wegen mangelnder Leistung oder während einer Krise wieder zu entlassen. Der Arbeitsmarktforscher Ekkehard Ernst betont allerdings, dass laut Studien der ILO die Auswirkungen der Arbeitsmarktregulierung auf die Jugendarbeitslosigkeit gering sind.

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(Vor verschlossenen Türen: Arbeitslose spanische Jugendliche in Pamplona)

Auswandern als einziger Ausweg

«Ich habe das Gefühl, mein Leben fängt nicht an», sagt der 25-jährige Italiener Luca Gargiulo, Linguist mit Arabischkenntnissen, noch bis Ende Oktober angestellt beim Pavillon der Arabischen Emirate an der Expo in Mailand. «Ich wäre besser Coiffeuse geworden», meint die 29-jährige Mariacristina Di Iorio, Absolventin des Studiengangs Sanitäre Biotechnologie an der Universität Sapienza in Rom.

Soziologen, Ökonomen und Politologen rätseln, weshalb nicht längst europaweit Jugendproteste ausgebrochen sind. «Diese Generation ist pragmatisch, nicht organisiert, visionslos, leidensfähig, unideologisch», versucht Timm Klotzek, ehemaliger Chefredaktor des deutschen Jugendmagazins «Neon», das Phänomen zu erklären. Die Schilderungen des jungen Italieners Gargiulo bestätigen seine Analyse: «Der Arbeitsmarkt war schon immer trostlos, wir kennen nichts anderes. Und jeder weiss von jemandem, dem es noch schlechter geht.»

Zahllose junge Erwachsene, besonders aus Südeuropa, sehen nur einen Weg aus der Misere: auswandern. Am liebsten nach Deutschland, England oder in die Schweiz. In Spanien beträgt der Anteil auswanderungswilliger Jugendlicher 60 Prozent, in Italien sind es mehr als die Hälfte.

Seit 2013 stellt der Europäische Sozialfonds jährlich 10 Milliarden Euro für ein Projekt bereit, das jedem Arbeitslosen unter 25 Jahren binnen vier Monaten eine Arbeit, einen Ausbildungsplatz oder zumindest ein Praktikum garantieren soll. Ein Blick auf die Statistiken zeigt, wie wenig es genützt hat.

Literatur:

Die Hartz-IV-Diktatur: Eine Arbeitsvermittlerin klagt an von Inge Hannemann

Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen von Paul Collier

Die Vereinigten Staaten von Europa: Geheimdokumente enthüllen: Die dunklen Pläne der Elite von Oliver Janich

Die Nazi-Wurzeln der „Brüsseler EU“ von August Kowalczyk

Quellen: AP/tagesanzeiger.ch vom 26.08.2015

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2 comments on “Millionen junge Europäer ohne Job: Zukunft ungewiss

  1. Viele Jobs sind heute ohnehin überflüssig, werden nur noch aufrecht gehalten, weil man ja auch „Käufer und Konsumenten“ braucht, gerade für jene Artikel, die überwiegend ohne menschliche Arbeitskraft erzeugt werden.
    So sagen führende Politiker gerne, dass der „aggressive Lebenswille“ geflüchteter Menschen unserer übersättigten Gesellschaft ganz gut tun wird, da der eine oder andere aus der sozialen Hängematte fallen wird.
    Jedenfalls kommen interessante Zeiten auf uns zu. Ausgerechnet aber eigentlich zur Unzeit, da wir nur schwache Regierungen und wenige Persönlichkeiten in der Politik sehen.

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