Urban Gardening – Guerilla-Gärten in der Stadt

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Urban Gardening – Unser täglich Brot von morgen? Urban Gardening heißt „nur“ städtisches Gärtnern, ist aber viel mehr.

Es bedeutet, die Natur zurück in die Stadt zu bringen und sich die Stadt wieder anzueignen. Manche wollen vor allem ihr eigenes Gemüse anbauen, andere üben politischen Protest und fordern ein selbst bestimmtes Leben ein. Urban Gardening entwickelte sich auch aus dem Guerilla Gardening.

Was ist ein Garten?

Ein Garten ist kultivierte Natur, der Übergang vom Haus zur wilden Natur. Die Grenze zwischen Garten und Wildnis, der Zaun oder die Hecke galt symbolisch als Übergang zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, der Welt der Menschen und der Geister. Das Wort Hexe leitet sich ab von Hagazussa, der Heckenreiterin, die mit je einem Fuß in diesen beiden Welten steht.

Ein Garten, auch ein Naturgarten, ist von Menschen gestaltet. Das zeigt sich durch seine Struktur – mit Beeten und Wegen und gezielt eingesetzten Pflanzen.

Je nachdem, wie strikt die Grenze zur Wildnis gezogen ist, kann ein Garten streng geometrisch sein wie in barocken Anlagen zum Beispiel in Versailles oder Hannover Herrenhausen, die die Kontrolle des Herrschers über die Natur verdeutlichen oder mit Teichen, Wasserläufen, künstlichen Hügeln, die die Natur spielerisch zur Entfaltung bringen wie in englischen Landschaftsgärten.

Die Pflanzen und die Erde gehören zur Natur, die Gestaltung ist hingegen Kultur.

Garten sind Besitz genau wie das Haus. Guerilla Gärtnern und Urban Gardening missachten die Hoheit der offiziellen Eigentümer wie zum Beispiel der Stadtverwaltung.

Urbanes Gärtnern umfasst eine Vielfalt von Sichtweisen. So schreibt die Soziologin Christa Müller: „Landschaftsarchitekten und Stadtplaner verstehen unter urbaner Landwirtschaft und urbanem Gärtnern etwas anderes als Soziologen, Historiker oder auch die Gartenaktivisten selbst.“

Gemeinschaftsgärten

„Der gemeinschaftlich organisierte Gemüsegarten erweitert den Blickwinkel und bietet Möglichkeiten des Selbstgestaltens, des Selbermachens ebenso wie Freiräume vom allgegenwärtigen Konsum in einer Warenwelt, die sich bereits komplett vorgefertigt präsentiert,“ schreibt Müller.

Gemeinschaftsgärten bewirtschaften viele Menschen gemeinsam, entweder in einem Verein oder Bürger eines Stadtteils. Dazu gehören die Nachbarschaftsgärten, die Kiezgärten und die Bürgergärten. Sie sind offen für alle Menschen, die sich einbringen.

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Gemeinschaftsgärten entstanden in den 1970er Jahren in New York. Bewohner in armen Stadtteilen besetzten Brachflächen und bauten dort Gemüse an. Das Büro GreenThumb bot den Nutzern Pachtverträge an und unterstützte die Gärtner.

Diese Gemeinschaftsgärten wurden zu einer erfolgreichen Selbsthilfe von Erwerbslosen und finanziell schlecht stehenden Alleinerziehenden. Die Gärten werteten die Stadtteile auf, förderten das soziale Miteinander und gaben den Beteiligten ihre Würde zurück. Es handelte sich um reine Nutzgärten.

Solche Gärten gab es auch in der nieder liegenden Industriestadt Detroit. Hier begann es mit Gemeinschaftsgärten und führte zu einem Konzept für urbane Landwirtschaft, die mit Kleingärten nur noch wenig zu tun hat.

Severin Halder, Julia Jahnke und Carolin Mees sehen Guerilla Gardening und Gemeinschaftsgärten als politische Organisationsform. Hier würden Menschen selbst Produziertes teilen, tauschen und verschenken. Die städtischen Armen würden sich so in Rio, Buenos Aires oder New York ihr Überleben sichern.

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Dabei ginge es nicht nur um Ernährung, so das Autorenkollektiv. Ebenso wichtig sei die gegenseitige Unterstützung und die Veränderung der sozialen Verhältnisse. Lust am Gärtnern spiele zwar eine Rolle, ebenso die Versorgung mit Lebensmitteln, aber die Gärtner und Gärtnerinnen würden zusätzlich Gesellschaft, Wirtschaft und Ökologie hinterfragen und die Gesellschaft verändern wollen.

Mieter- und mobile Gärten

Mietergärten legen die Mieter selbst an und nutzen diese auch. Lerngärten und Schaugärten gehören ebenso zu den urbanen Gärten.

Mobile Gärten sind eine kreative Lösung für ein Problem der Gartenpiraten: Die Stadtverwaltungen erlauben urbane Gärten nämlich oft nur als Zwischennutzung. Zweitens sind städtische Böden manchmal nicht nutzbar, weil Schadstoffe sie belasten. Die freien Gärtner legen deshalb Beete in Kästen, Kisten oder Eimern an, die sie von einem Ort zum anderen transportieren können.

Warum ist Urban Gardening populär?

1) Urbaner Gartenbau ermöglicht Nahrung vor Ort zu produzieren und so umweltschädliche Transportwege zu vermeiden. Mit Gewächshäusern lässt sich zusätzlich Energie sparen.

2) Landwirtschaft und städtische Lebensweise lassen sich verbinden mit den natürlichen Stoffkreisläufen und Recycling von Kompost.

3) Eine größer werdende soziale Bewegung fordert Slow Food, also lokal angebaute Lebensmittel, die die Menschen selbst säen und erneten.

4) Urban Gardeing ermöglicht Subsistenzwirtschaft und sichert so in armen Ländern das Überleben.

5) Es überbrückt Engpässe, um Städte mit Lebensmitteln zu versorgen.

6) Es verbessert das Mikroklima in den Städten.

7) Es fördert die Artenvielfalt.

8) Es sensibilisiert für eine nachhaltige Lebensweise.

9) Es fördert die Gemeinschaft und das soziale Miteinander im Stadtteil.

Die Sozialforscherin Silke Borgstedt endeckt drei Motive für das urbane Gärtnern. Das erste ist Rückzug und die Suche nach Nischen, um zur Besinnung zu kommen und sich neu zu Erden. Das zweite ist Streben nach Autonomie als Reaktion auf den Verlust von Möglichkeiten, zu gestalten. Die Mikro-Communities dienen dazu, sich größere Freiräume zu schaffen. Das dritte Motiv ist die Suche nach Sinnlichkeit und Vielfalt im Alltag als Gegenpol zu zunehmender Rationalisierung und Entfremdung.

Guerilla gärtnern

„Guerilla Gardening ist eine Schlacht, in der die Blumen die Munition sind.“ (Richard Reynolds 2009. In: Guerilla Gardening, Ein botanisches Manifest, S. 12.)

Das heutige urbane Gärtner geht unter anderem zurück auf das Guerilla Gardening, den „kleinen Krieg“, um die Städte lebenswerter zu gestalten. Guerilla Gärtnern war und ist eine Form des politischen Protestes gegen eine zubetonierte Umwelt, die das Leben für Mensch und Tier erstickt.

Guerilla Gärtner begannen in den USA und fanden bald Nachahmer in in allen westlichen Ländern. Sie streuten „Samenbomben“ mit heimischen Wildblumen auf kahl rasierte städtische „Grünflächen“, sie sie schufen kleine Wildnisse rund um die Baumscheiben, also die Erde um die Wurzeln städtischer Bäume.

1973 gründete Liz Christy in den USA die „Green Guerillas“. Die räumten den Müll und Schutt von einem brach liegenden Gelände und legten einen Gemeinschaftsgarten an.

Subversive Gärtner lebten auf Bauwagenplätzen und gingen in die Öffentlichkeit. Aufsehen erregten britische Öko-Anarchisten, als sie einen gestutzten Rasen auf dem Parliament Square in London besetzten, ihn umgruben, Muttererde herbei schafften und Setzlinge pflanzten.

Andere Kleinkriegs-Gärtner gingen nicht in die direkte Konfrontation. Sie pflanzten heimlich dort, wo es verboten war, verbreiteten Kornblumen und Klatschmohn neben Kinderspielplätzen oder missachteten die Vorschriften von Vermietern, wie ein gepflegter Vorgarten aussehen solle.

In Deutschland sammeln sich Gartenrebellen in einer regen Subkultur. In Berlin nennen sie sich „die Gartenpiraten“, in Bayern pflanzen die „Guerilla Gärtner München“, und an der Elbe macht „Guerilla Gardening Hamburg“ die Stadt grüner.

Das Internet gibt die Möglichkeit, effektiv zu Aktionen aufzurufen, zum Beispiel im Frühjahr 2011, als in Hamburg die „Sunflower Guerilla Days“ stattfanden.

Gruenewelle.org ist das Sammelbecken der Bewegung. Richard Reynolds gilt als grüne Eminenz der Alternativen und gibt in zahlreichen Vorträgen Tipps zum legitimen aber nicht notwendig legalen Pflanzen.

Was wollen Guerilla-Gärtner?

Der grünen Gegenkultur ging es zum einen darum, die Natur in die Stadt zu holen, zum anderen aber sich von der Agrarindustrie zu befreien und Obst wie Gemüse selbst anzubauen. Deshalb pflanzten alternative Pflanzenfreunde Erdbeeren und Mohrrüben, Kohl und Kartoffeln in den Städten an Orten, die die Stadtverwaltungen dafür nicht vorsahen: Auf den Dächern von besetzten Häusern, auf den Brachflächen still gelegter Fabriken oder im Umfeld von Jugendzentren.

Die Protestler störten Testflächen für genmanipulierte Pflanzen, indem sie natürliche Gewächse dazwischen säten, sie bepflanzten Golfplätze mit Dornbüschen, um die Zerstörung der Natur für den elitären Sport zu zeigen, und sie pflanzten essbares Gemüse in öffentliche Grünanlagen.

Ziel der Untergrund-Gärtner ist es, die Stadt wieder als natürliche Umwelt zu erobern und selbst bestimmt zu ernten, was sie mit eigenen Händen säten.

Solche alternativen Gärtner breiteten sich in den 1980er Jahren aus, sie traten zwar in die Fußstapfen der Hippies der 1960er, wollten aber, im Unterschied zu diesen, die Stadt umgestalten. Die Hippies hingegen hatten sich der Stadt weit gehend entzogen und versucht, in Landkommunen ein „natürliches Leben“ aufzubauen.

In den 1980er Jahren hatten Hippiepioniere erstens von Hawai bis Gomera und von Goa bis in die Wälder Kaliforniens „Geheimtipps“ durch die verlockende „Alternative“ dem Massentourismus geöffnet, und zweitens sahen viele kritische Großstädter solche Stadt- und Weltflucht nicht als Alternative an, sondern wollten ihre Lebenswelt dort gestalten, wo sie lebten – zwischen Hochhäusern und Parkplätzen, neben Autobahnen und Schrebergärten.

Guerilla-Gärtnern ging mit dem Erobern von selbst bestimmten Freiräumen einher: Hausbesetzer wandelten ehemalige Fabriken, Druckereien oder verfallene Mietblocks in alternative Zentren um und bepflanzten diese so, wie sie es für richtig hielten.

Politische Botanik

Richard Reynolds lobt die subversive Kraft, auf eigene Faust zu pflanzen und betont die politische Absicht dahinter. Es geht ihm darum, sich selbst bestimmt staatlichen und privaten Besitz anzueignen, wenn dieser gegen die Interessen der Bürger genutzt wird, oder, diesmal im Wortsinn, brach liegt.

Guerilla Gardening ist also auch ein Protest gegen ungerechten Großgrundbesitz, und, eine Parallelle zu Hausbesetzungen, Widerstand gegen die Vernachlässigung von Böden. Tatsächlich geht es Reynolds beim Guerilla Gärtnern neben Renaturierung und ästhetischer Lebenswelt auch um Subsistenzwirtschaft.

Er sieht die Aktivisten deshalb in der Tradition der Landlosenbewegungen, Hanfpflanzen in Innenstädten oder Plantagenbesetzungen.

Reynolds kritisiert Guerilla Garten Aktionen, die nur symbolischer Protest sind, weil von Anfang an klar ist, dass sich die Pflanzungen nicht halten können. So lehnt er zum Beispiel die Aktion des Ökoanarchismus ab, in der Aktivisten Rasenflächen vor dem Britischen Parlament ausbreiteten.

Grüne Straftäter?

Wenn jemand Flächen ohne die Zustimmung des Grundstückseigentümers oder Pächters bepflanzt, ist das in Deutschland eine Straftat, nämlich Sachbeschädigung.

Die kritische Gartenarbeit umfasst jedoch ein weites Spektrum, so dass die Strafverfolgung nicht immer einfach ist. Bei Samenbomben, die heimische Wildkräuter verbreiten, ist es kaum möglich, den Urheber zu bestimmen.

Zudem haben die Umgestalter einen mächtigen Verbündeten: Die Natur. Spießige Schrebergartenzwerge können nicht immer überall sein, und ihr Sisyphuskampf gegen Wildkräuter lässt sich nachhaltig erschweren.

Wer Privatgrundstücke ohne Erlaubnis des Eigentümers begrünt, muss unter Umständen laut §862 BGB Schadensersatz leisten. Zudem verliert derjenige, der Saatgut auf fremden Grundstücken ausbringt, das Recht an ihnen und allem, was aus ihnen wächst.

In realitas verhält es sich mit der Strafverfolgung aber ähnlich wie mit dem Handhaben von Schrebergartenordnungen: Guerillagärtner müssen schon an besonders autoritäre Behördenvertreter geraten, um vor Gericht zu kommen.

Heute wird Guerilla Gärtnern weit gehend toleriert. Urban Gardening mutierte sogar zur etablierten Form der Gartenpiraten, und oft unterstützen die Kommunen solche Initiativen sogar. Ob und wie die städtischen Verwaltungen selbst bestimmtes Pflanzen tolerieren, liegt erst einmal an den Menschen, die dort sitzen, zweitens an der Akzeptanz der Bürger und drittens an den Aktionen der freien Gärtner selbst.

Wer Brennesseln in ein gepflegtes Rosenbeet einbuddelt, das ihm nicht gehört, macht sich keine Freunde. Wer vor Verkehrsschildern oder Fußgängerampeln Kletterpflanzen ansiedelt, die die Sicht versperren, gefährdet auf Dauer andere Menschen.

Die Reaktion der städtischen Gärtner fällt bisweilen anders aus, wenn die halb legalen Grünflächen gepflegt sind. So befanden sich Anwohner der Ungerstraße in Hannover mit den Stadtgärtnern in einem jährlichen „Kleinkrieg“ um eine Baumscheibe. Dort streute der eine die Reste seines Vogelfutters aus, ein anderer grub Erdbeeren, Margeriten und andere Wildblumen aus seinem Kleingarten ein. Um die Baumscheibe vor Hunden zu schützen, legten sie aus Draht einen kleinen Zaun an.

Jedes Jahr machten die Stadtgärtner die Grünfläche platt, jedes Jahr pflanzten die Anwohner neu.

Zehn Meter weiter, auf der anderen Straßenseite, legte derweil ein Kioskbesitzer ebenfalls ein Beet auf einer Baumscheibe an, allerdings mit richtigem Holzzaun und „schönen“ Blumen aus dem Gartencenter. Ihn ließen die Stadtgärtner in Ruhe walten.

In Vierteln mit freien Gärtnern wuchert die Grenze zwischen erlaubt und verboten indessen zu. Der zugewachsene Balkon und Vorgarten im Erdgeschoss gehören zur Mietwohnung, die Blumenkästen auf dem Bürgersteig vor dem Haus offiziell nicht mehr, und die sind der Übergang zur Baumscheibe, die ohne Genehmigung der Stadt nicht bepflanzt werden darf. Sind allerdings die Blumenampeln an der Baumscheibe oder die Eimer mit Stockrosen um die Baumscheibe noch legal? Vermutlich ja.

Flower-Power: So gelingt es

Besonders gut gelingen Gartenguerilla-Aktionen, wenn sie auf Zustimmung der Anwohner stoßen. Wer eine mit Kies zugeschüttete und von Hunden markierte Baumscheibe mit Narzissen, Krokussen oder Tulpen verschönert, der gewinnt erstens Sympathien, zweitens drücken die städtischen Behörden oft ein Auge zu, und drittens machen sich Stadtgärtner selten die Mühe jede Zwiebel einzeln auszugraben, so dass die Blumen im nächsten Jahr wieder kommen.

Um Akzeptanz zu schaffen, sollten Guerillagärtner zeigen, dass sie natürliche Schönheit an die Stelle tristen Betons setzen. Das gelingt am besten, wenn die Garteninseln gepflegt sind und die Stadt aufwerten.

Geht es jedoch um aktiven Widerstand, sind andere Mittel gefragt. Die Website attensaat.de rät:

„Soll hingegen ein Stück Land gegen die Übergriffe übereifriger Stadtgärtner standhalten, dann wirkt beispielsweise Minze, die in die Nähe von Wurzelstöcken existierender Pflanzen gesetzt wird Wunder – denn diese wird garantiert ausdauern und viele Jähtattacken überstehen.“ Auch Salbei, wilde Brombeere, Wegerich oder Efeu erfüllen diesen Zweck.

Ein Guerillagärtner sollte zumindest Grundkenntnisse über Pflanzen lernen. Ist der Boden sauer, mager oder reich an Stickstoff? Brennesseln mögen zum Beispiel keine zu sauren Böden, brauchen aber viel Stickstoff. Welche Pflanzen eignen sich für Sandböden, für steinigen Untergrund, für Hausdächer oder dunkle Ecken in Hinterhöfen?

Ein Pflanzendissident braucht Verbündete. Wenn die Großmutter mit Bauerngarten, die Freundin in der Gärtnerei oder der Reitlehrer mit der Blumenwiese auf der Pferdeweide Blumenzwiebeln über haben, etc. ist das bestens. Um eine Naturwiese anzulegen, ist es am einfachsten, einen Quadratmeter auszugraben und an passender Stelle wieder einzusetzen. Der Rest kommt von allein.

Wo Wildkräuter reichlich wachsen, kann man auch eine Tüte mitnehmen, um Samen und Pflanzen einsammeln.

Samenbomben sind unauffällig. Im Vorübergehen sind sie im Boden verschwunden, ohne dass jemand etwas mitbekommt.

Professionelle Gartenguilleros pflanzen dort, wo die Saat ungestört aufgeht, also sich kaum entfernen lässt. Regenrinnen, Mauerspalten oder Zaunecken eignen sich zum Beispiel besonders, weil der Rasenmäher hier nicht hinkommt. Das gleiche gilt für Blumenwiesen zwischen dicht aneinander stehenden Bäumen.

In städtischen Parkanlagen bieten sich Frühblüher an, also Krokusse, Schneeglöckchen oder Narzissen. Die Parks werden nämlich in der Regel erst in der zweiten Aprilhälfte das erste Mal gemäht.

Generell stimmen versierte freie Pflanzer ihre Aktionen mit den Arbeitszeiten der Stadtgärtner ab. Die Angestellten sind keine fanatischen Naturhasser, sondern erledigen ihren Job nach einem Zeitplan und gehen nicht in ihrer Freizeit los, weil Kornblumen im Schlosspark blühen.

Dabei empfiehlt es sich auch, die Blumen auf dem Balkon vorzuziehen.

Guerillagärtner bezeichnen sich mit einem Augenzwinkern als „kleine Krieger“, denn ihre Aktionen sind subversiv, aber absolut friedlich. Wenn der Schritt erst einmal getan ist, gewinnt die Tat meist die Sympathie der Anwohner. Blumen sind nämlich schön.

Der NABU ruft zwar nicht zu Straftaten auf, gibt aber Do-it-yourself Gärtnern Tipps, worauf sie achten sollten. Julian Heiermann vom NABU sagt: „Es ist zum Beispiel wichtig, dass die Samen oder Sprösslinge von einheimischen Arten stammen. Denn sonst sorgen sie zwar für ein herrliches Grün zwischen den Mauern, helfen aber Schmetterlingen und anderen Insekten nicht, die bei der Nahrungssuche auf ihnen bekannte Arten angewiesen sind.“

Zudem sollten sich grüne Rebellen mit Biotopen auskennen. Vermeintliche Mondlandschaften sind oft die letzten Rückzugsgebiete für Reptilien wie die Zauneidechse, für Kreuz- und Knoblauchkröte, also stark bedrohte Arten. Das oberste Gebot von Guerilla-Gärtnern sollte sein, natürliche Lebensgemeinschaften zu fördern, nicht zu stören.

Guerilla-Gärtnern etabliert sich

Ob in Hamburg, in Hannover-Linden, in Bielefeld, München oder Köln. Guerilla-Gärtnern ist längst Urban Gardening geworden, und viele Städte unterstützen die Initiativen der freien Gärtner.

In Berlin pflanzen Menschen ohne Garten vor der Haustür Obstbäume im Görlitzer Park, ziehen Gemüse in Kisten am Moritzplatz oder erfreuen sich an einer Wildblumenwiese in Kreuzberg; Kids spielen in einem Kinder-Garten in Neuköln, und in Mitte helfen immer mehr der Natur auf dem Dach. Die Berliner Neugärtner tummeln sich besonders da, wo es zuvor wenig Naturnähe gab – nicht am Wannsee oder Grunewald.

Im Prinzessinnengarten am Moritzplatz zwischen Supermärkten und Kreisverker gärtnern 60 Aktive. 2009 war hier eine kahle Betonfläche. Dann pflanzten der Historiker Marco Clausen und der Regisseur Robert Shaw mit dutzenden anderen auf 5600 Quadratmeter mehr als 400 verschiedene Pflanzen an. Sie produzieren mehr, als sie selbst essen können und verkaufen es weiter.

Ein revolutionäres Projekt entwickelte Nicolas Leschke in Berlin-Schöneberg. Er startete eine Fischzucht in einem Schiffscontainer. Die Fische scheiden Ammonium aus, ein Filter wandelt dieses in Nitrat um. Das Nitrat gelangt in einen Tank und von dort in ein Gewächshaus über dem Container. Dann läuft das Wasser durch die äußeren Rinnen des Gewächshauses und spült um die Wurzeln des Gemüses.

Dann fließt es wieder zurück in den Tank, das System versorgt sich selbst, ohne Dünger oder Pestizide.

Viele alte Gartenpiraten arbeiten jetzt sogar ehrenamtlich und in städtischem Auftrag. Jürgen Hegger, Martina Heister und vier andere Hamburger zum Beispiel pflanzen Margeriten und Hortensien an einer Verkehrsinsel in Hamburg-Hohenfelde.

Es geht bei diesem Urban Gardening nicht notwendig um politischen Protest. Etwas selbst zu machen, und gemeinsam mit anderen das Viertel verschönern, hebt die Lebensqualität im Stadtteil und stärkt die Identifizierung damit. Die Menschen schaffen sich ein Zuhause.

Offiziell brauchen die urbanen Gärtner in Hamburg eine „Beetpatenschaft“. Doch den dafür zuständigen Bezirklichen Ordnungsdienst gibt es nicht mehr.

Alle Hamburger Parteien lehnen die Eigeninitiative zwar nicht gänzlich ab, haben aber spezifische Vorbehalte. Die CDU fürchtete, dass wuchernde Büsche der freien Gärtner Autofahrern die Sicht nehmen könnten. Die Grünen wollen Flächen für das Urabn gardeing zur Verfügung stellen und Pflanzberater in den Bezirksämtern einzustellen. Die LINKE fordert mehr regulär beschäftigte städtische Gärtner. Sie meint, die Stadt würde sich mit der privaten Gartenpflege der Bürger ihrer Pflichten entledigen, genug Vollkräfte einzustellen.

Matthias Albrecht (SPD) und Kurt Duwe (FDP) wollen hingegen die Gärtner machen lassen, bzw. Urban Gardening öffentlich fördern. Störende Pflanzen könnte die Stadt immer noch entfernen.

Manche Städte in den USA und England sind viel weiter beim Fördern von urbaner Gärtnerei. So schulte die Stadt Brighton in 70 Lehrgängen Bürger in Gärtnerei, unter anderem in einem Demonstrationsgarten im Stadtpark.

In Kalifornien soll die West Oakland Farm ehemaligen Häftlingen eine Perspektive geben. Farbige Männer und Frauen, die keine Chance auf einen Job haben, arbeiten hier als Gärtner und Gärtnerinnen.

Macondo in Wien ist ein „Flüchtlingsgarten“. Refugees aus 22 Nationen arbeiten hier. Macondo verspricht, ein Garten für alle zu sein und ermöglicht Eigeninititaive und soziale Nähe.

Sacramento und San Fransisco lindern die Steuerlast für Eigentümer, die ihr Land nur für den Anbau von Lebensmitteln nutzen.

Die Soradofarm schließlich in Japan legte mobile Gärten auf fünf Bahnhofsdächern an, damit die Reisenden sich entspannen können, während sie auf den Zug warten.

In London legten urbane Gärtner gar Kräuterbeete in unterirdischen Bunkern an, mit Kunstlicht und Bewässerung ziehen sie hier essbare Kräuter. In London gibt es auch extra Kurse für Schulgärten, Gartenprojekte und Gemeinschaftsgärten.

Das könnte ein Vorbild für Deutschland sein. In Brighton wurde nämlich deutlich, dass geförderte Projekte viel häufiger zum Erfolg führten als nicht geförderte. Der Grund lag darin, dass den „Gärtern auf eigene Faust“ das Know How fehlte. Pflanzen starben, weil sie am falschen Ort standen, zu viel oder zu wenig Wasser bekamen oder die falschen Pflanzennachbarn hatten.

In Deutschland bieten zum Beispiel Anstiftung und Ertomis Leitfäden an.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um linksradikale Guerillagärtner, sondern auch um Wohnungsgesellschaft und Inmobilienentwickler. In Vancouver informieren Broschüren über Gemeinschaftsgärten in Wohngebieten.

Die Planning Advice Notice in Brighton gibt Bauherren Tipps, um urbane Landwirtschaft zu gestalten.

Urban Gardening ist heute nur selten politischer Protest, sondern vielmehr ein Experimentierfeld für neue Produktionsweisen.

„Der Metropolenforscher Bastian Lange beobachtet, dass sich eine junge Generation auf den Weg macht, innovative aber zugleich pragmatische Lösungen als Antwort auf komplexe soziale, ökologische und kulturelle Verunsicherungen zu entwickeln,“ so Müller. Und: „Dies sind häufig Kulturen des Selbermachens, kollektive Ansätze, die unideologisch die Jetztzeit und den Nahraum gestalten wollen.“

Die Agrarwüste

Urbanes Gärtnern kann der Artenvielfalt dienen. Städtische Gärten werden nämlich immer mehr zum Rückzugsgebiet für die klassischen Tier- und Pflanzenarten des ländlichen Raumes. Die intensive Landwirtschaft ist in Deutschland nämlich der Artenkiller Nummer 1.

45% der Vögel, die bis in die 1980er Jahre in der Agrarlandschaft lebten, sind heute stark gefährdet – von Rebhuhn bis zu Uferschnepfe, von Grauammer bis Haubenlerche. Insekten sind ebenfalls extrem weniger geworden als noch vor 20 Jahren. Moderne Agrartechnik tötet 90 % der Insekten und damit die Nahrung der Vögel.

Die Flächen sind überdüngt, dadurch breiten sich überall die gleichen Grassorten aus. Herbizide vernichten die Wildkräuter in den Feldern.

Städte bieten dafür einen Ersatz. Die Boden sind nicht gedüngt und deshalb nährstoffarm, so können sich Wildblumen wie Mohn oder Kornblume ausbreiten. Vögel wie Stieglitz, Feldsperling oder Feldlerche profizieren von brach liegenden Grundstücken in den Städten.

Urban Gardening mit heimischen Pflanzen kann bedrohten Tierarten ein neues Zuhause geben.

Die essbare Stadt

Einen neuen Weg ging Andernach in Süddeutschland. Die Kleinstadt heißt heute im Volksmund „die essbare Stadt“. Die Idee war, städtische Grünanlagen ökologisch und ökonomisch zu nutzen und die Bürger aktiv einzubeziehen.

2008 gestalteten Bürger eine Fläche in einem Vorort und betreiben dort heute extensive Landwirtschaft, außerdem dient die Grünfläche der Erholung und Umweltbildung.

Sie betreiben Permakultur, das heißt, es gibt Synergieefeekte zwischen Land- und Fortswirtschaft, Ökologie, Naturschutz und Wassernutzung und einen Fruchtwechsel, in dem die unterschiedlichen Pflanzen sich gegenseitig fördern.

Ehemalige Rasenflächen sind heute Felder und Obstwiesen. An der Stadtmauer legten die Andernacher Beete für 100 verschiedene Tomatensorten an. Die Tomaten dienen zugleich der Aufklärung: Sie sollen für das Aussterben alter Nutzpflanzen hinweisen.

Die Stadt soll mit diesen Aktionen zudem für die Bürger wieder zu einem Erlebnisraum werden. Auf Dauer möchte die Stadt öffentliche Flächen so gestalten, dass sie sich direkt nutzen lassen und die Einwohner einen persönlichen Bezug zu den Grünanlagen entwickeln. Das Konzept heißt: „Schutz durch Nutzung“.

Jedes Jahr gibt es ein Leitthema: 2011 waren es zum Beispiel Bohnen und 2012 Lauch. Auf öffentlichen Beeten wachsen auch Mangold, Kürbisse oder Zucchini. Demnächst sollen Mandelbäume, Pfirsiche und Esskastanien wachsen.

Die Bürger ernten und essen die Früchte selbst. Dadurch nahmen die Beschädigungen öffentlicher Grünanlagen drastisch ab. Der Nutzen dient dem Schutz.

Kleingärten

Kleingärten, die klassischen Schrebergärten, gelten in Deutschland im Klischee als Gegenteil des Guerillagärtners. Der Schrebergärtner, das ist der mit dem Gartenzwerg vor der Laube, der selbst in seiner Freizeit nicht von der Arbeit lassen kann, panisch darauf achtet, dass der Weg frisch geharkt ist und jedem „Unkraut“ den Garaus macht, als wäre es der Teufel persönlich.

So wie sich die Urban Garden Bewegung zusehends etablierte und ehemalige Hausbesetzer Hausbesitzer wurden, stimmt die alte Frontstellung zwischen Gartenpiraten und Schrebergarten-Blockwarten nicht mehr, wenn sie jemals stimmte.

Kleingärten bezeichnen in Deutschland vor allem Kolonien von Grundstücken, die Vereine verwalten und an ihre Mitglieder verpachten. Der Pachtpreis ist regional sehr unterschiedlich, immer aber wesentlich günstiger als eine Mietwohnung mit angeschlossenem Garten.

Jeder Kleingartenverein hat seine eigene Satzung, in Deutschland gibt es außerdem das Bundeskleingartengesetz, das vor allem die Struktur und das Wohnrecht regelt. So muss nach dem Bundesgesetz jeder Kleingarten zu einem Drittel aus essbaren Pflanzen bestehen, ein Drittel ist für Gartenhütte, Geräteschuppen und andere Bauten reserviert und das letzte Drittel für Rasen bzw. Zierpflanzen.

Diese Gliederung sollte verhindern, dass die Pachtgärten als reine Ziergarten ihren ursprünglichen Sinn verlieren: Sie sollten nämlich einst dazu dienen, dass Arbeiterfamilien sich ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen und so Hungerzeiten überstehen – ganz ähnlich wie die Idee des Urban Gardening.

Außerdem regelt das Bundesgesetz, dass die Gärten nicht als Wohnung dienen dürfen. Die Pächter können hier zwar übernachten, so oft sie wollen und Gäste empfangen, so oft sie wollen, müssen aber ihren Wohnsitz woanders haben.

Wie eng diese Bestimmungen gesehen werden, hängt von den Mitgliedern der jeweiligen Kolonie ab. In der Regel gilt: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

Viele Vereine befürworten es inoffiziell sogar, wenn Mitglieder dauerhaft in den Gartenhütten wohnen, weil sie hoffen, dass das Einbrecher abhält. An die ein Drittel Regelung hält sich in der Praxis kaum jemand, und städtische Behörden haben meist besseres zu tun, als die Obstbäume in einem Garten zu zählen.

Zudem starben viele der konservativen Schrebergärtner, ihre Garten wurden leer, und moderater gewordene Gartenpiraten zogen ein. Während manche Kolonien immer noch wie mit dem Lineal gezogen wirken, lassen andere Naturgärten in einem Ausmaß zu, dass sie als Guerillagärten durchgehen könnten, wenn sie nicht völlig legal wären.

Kleingärten und Urban Gardening

Kleingärten erfüllen wichtige Aufgaben, denen sich auch das Urban Gardening verschreibt:

1) Sie verbessern die Lebensqualität, dämpfen den Stadtlärm, binden den Staub, sorgen für grüne Lungen in der Industrielandschaft, lockern die Bebauung auf, helfen (im guten Fall) bedrohten Arten und Biotopen, vernetzen Lebensräume und wirken sich positiv auf das Klima aus.

2) Sie fördern die Beziehungen in den Familien, geben ihren Mitgliedern eine sinnvolle Aufgabe, eine Alternative zu den Auswirkungen des Lebens zwischen Beton und Asphalt.

3) Sie ermöglichen einen direkten Kontakt zur Natur und bieten Begegnungen mit wilden Lebewesen – von Eichhörnchen über Rotkehlchen bis zu Bienen und Erdkröten.

4) Menschen erleben die Pflanzen, sie säen, sie sehen beim Wachsen zu und sie ernten gesundes Obst und Gemüse.

5) Großstadtkindern bieten sie Freiräume, die diese in der Stadt oft kaum haben. Kinder können hier toben, ohne Angst haben zu müssen, von Autos überrollt zu werden. Kinder lernen hier die natürlichen Zusammenhänge.

6) Berufstätige können sich in ihren Gärten entspannen und Erwerbslose sich sinnvoll betätigen, dazu zu gehören und wertvoll zu sein. Dazu gibt es noch frisches Gemüse.

7) Menschen mit Behinderungen entgehen der Isolierung, sie nehmen am Leben der Gemeinschaft teil, sie erleben das Sähen, Pflanzen, Gedeihen und Ernten.

8) Alte Menschen finden Orte, um Gespräche zu führen und zur Ruhe zu kommen, außerdem pflegen sie in Jahren entwickelte Beziehungen und können sich in ihren Gärten selbst verwirklichen.

Naturschutz

Natur- und Umweltschutz ist in deutschen Kleingärten heute sehr wichtig. Viele Vereine raten dazu, einheimische Gewächse zu pflanzen, Nistkästen aufzuhängen und Plätze für Vögel, Igel und Insekten zu schaffen.

Fast alle Kleingärtner bewässern mit Regenwasser und nutzen Kompost als Dünger. Jeder zweite jüngere Kleingärtner baut biologisch Obst und Gemüse ein, nur jeder Dritte nutzt Kunstdünger, fast alle lehnen chemische Mittel zur Schädlingsbekämpfung ab.

Ökonomische Perspektive

Eine ganz andere Perspektive als die linksradikalen Guerillagärtner haben manche Wissenschaftler. Die sehen nämlich das ökonomische Potenzial. Forscher vom Fraunhofer-Institut denken, dass sich 360 Millionen Quadratmeter auf Dächern eignen, um dort Obst und Gemüse anzubauen, auf Industriegebäuden, Bürokomplexen oder Supermärkten.

Diese Dachgärten würden viele klimaschädliche Transporte überflüssig machen. Die Fraunhofer-Forscher probieren dafür Leichtbau-Gewächshäuser aus, mit Kunststoffen statt Glas. Hydrokulturen würden die bepflanzte Fläche leicht genug machen, damit die Dächer nicht zusammen brächen. LED-Einsatz könnte Sonnenlicht ersetzen. Ab 1000 Quadratmetern wäre der Anbau profitabel.

Urban Gardening zum Überleben?

Christa Müller fragt in der der Anthologie „Urban Gardening – Über die Rückkehr der Gärten in unsere Stadt“: „Repräsentiert der Garten womöglich das Modell einer besseren Gesellschaft? Werden die in ihm gelebten bzw. von ihm favorisierten Tugenden wie Kooperation, Gelassenheit, handwerkliches Können, Lebendigkeit, Empathie und Großzügigkeit, aber auch die Kunst des »einfachen Lebens«, das Arrangement mit dem, was vorhanden ist, richtungweisend für die vor uns stehenden Transformationsprozesse?“

In armen Ländern wie Kuba ist Urban Gardening kein Hobby, sondern sichert vielen Menschen das Überleben. In den westlichen Metropolen fühlen wir uns dank übervoller Discounter und allgegenwärtiger Imbisse davon Welten entfernt, doch das Verschwenden von Nahrungsmitteln in den USA und Europa täuscht darüber hinweg, wie labil dieses Konsumsystem ist.

Supermärkte organisieren ihre Lager auf einen Verkauf innerhalb von drei Tagen. Als britische Truckfahrer und Farmer 2000 die Transportstraßen blockierten, konnten die anliegenden Großstädte nach drei Tagen kaum noch ihre Einwohner versorgen. Ganz ähnlich sah es in den Städten des amerikanischen Südostens aus, nachdem der Hurrikan Katrina 2005 wütete.

Ewaen Cameron von Dillington untersuchte im Auftrag der britischen Regierung die Versorgungslage der Städte und schrieb als Ergebnis: „Neun Mahlzeiten bis zur Anarchie.“

In anderen Ländern sind Selbstversorger-Gärten längst selbstverständlich. In Moskau und St. Petersburg baut zumindest jeder Zweite in seinem Garten Lebensmittel an.

Detroit in den USA ging danieder, als der Automarkt zusammen brach. Die Stadt schrumpfte von zwei Millionen auf 700.000 Einwohner. In und um die Industriebrachen machten die Detroiter aus der Not eine Tugend und gründeten tausende von Mini-Farmen. Heute produzieren diese freien Farmer jährlich 17 Tonnen Lebensmittel und setzen damit auch ein Symbol gegen die Resignation.

Der Detroiter Dozent Robin Boyle sagt: „Wo Sonnenblumen wachsen, haben die Menschen noch nicht aufgegeben. Nicht jeder Urban Farmer in Detroit hat eine offizielle Erlaubnis. Aber man lässt die Leute gewähren.“

In Deutschland verändern urbane Gärtner Freiflächen in der Stadt zu Nutzgärten, so können sich auch Menschen mit magerem Budget gesund ernähren – zumindest zum Teil. Fast ebenso so wichtig wie der praktische Wert dieser Gärten ist das weltanschauliche Paradigma: Die freien Pflanzer widersprechen der traditionellen Trennung von Stadt und Land und zeigen eine Alternative zur industrialisierten Landwirtschaft, die die Artenvielfalt vernichtet.

Urbane Gärtnerei ist eine durch unterschiedliche Motive angetriebene Bewegung, die ein neues Bewusstsein von Urbanität ausdrückt – und kein schnelllebiger Trend.

Sind urbane Gärten aber eine Perspektive für die gesamte Gesellschaft? Subsistenz und Permakultur, lokale Märkte und Selbstorganisation statt Supermarkt-Food? Vermutlich nicht.

Wer in seinem Kleingarten mit Mühe und Not seine Zucchinipflanzen vor Schnecken gerettet hat und nach wochenlangem Schuften stolz eine Handvoll Tomaten in der Hand hält, weiß, dass Selbstversorgung kein Hobby ist.

Außerdem ist urban gezogenes Gemüse nicht notwendig gesund, ob bio hin oder her. Die Luftverschmutzung in Städten wie Berlin, Hamburg oder Köln ist immens, und Proben von Gemüse, das in der Nähe von Straßen angebaut wurde, lagen zu 60 % über den EU-Grenzwerten für Blei – und Blei ist eines der giftigsten Metalle.

Bewusste Gartenpiraten wissen das auch. Die Berliner am Moritzplatz zum bauten deshalb eine dichte Hecke zwischen Straße und Tomaten und halten 8 Meter Sicherheitsabstand. Der Boden, in dem sie ihre Pflanzen in Kästen ziehen, kommt von Demeter und außerhalb von Berlin.

Selbstversorgung hieße im übrigen, für jeden Tag im Jahr für alle Betroffenen, seien es Mutter, Vater und Kind oder die WG, Obst und Gemüse zu haben, dies für den Winter einkochen, zu Marmelade oder Saft zu verarbeiten, Kräuter zu trocknen oder in Öl einzulegen (wo kommt das eigentlich her), Hecken zu schneiden, Bäume zu stutzen, mit natürlichen Mitteln Schädlinge bekämpfen, Holz zu hacken, den Boden umzugraben, den Kompost auszustreuen, Hochbeete anzulegen und tausend andere Sachen mehr.

Kurz gesagt: Urbane Landwirtschaft ist vor allem Landwirtschaft, ein harter Fulltime-Job, der professionelle Kenntnis und Erfahrung verlangt.

Professionelle Farmen in den Städten werden indessen bald notwendig sein. Der Ackerboden ist nämlich an seine Grenzen gekommen. Die Bodenqualität verschlechtert sich in vielen Teilen der Welt, Wüsten bilden sich und Dürren brechen aus.

Jedes Jahr gehen 20 Milliarden Tonnen Ackerboden verloren, jede Minute werden zwei Hektar versiegelt, allein in Deutschland verschwinden täglich 73 Hektar Ackerland. Die Ackerflächen selbst sind zudem immer häufiger durch Energiepflanzen wie Mais und Raps besetzt.

Müller schreibt: „Denn Lebensmittel mitten in der Stadt anzubauen, sie mit anderen zu teilen, zu tauschen oder gemeinsam zu verzehren und damit die Stadt als Ort der naheliegenden Lebensqualität zu entdecken, erscheint in der globalisierten (und zunehmend virtualisierten) Welt auf den ersten Blick als ungewöhnlicher Trend. Andererseits liegt auf der Hand, dass mit dem Versiegen des Erdöls nicht nur die industrialisierte Nahrungsmittelproduktion zur Disposition steht, sondern auch das dichotome Verständnis von Stadt und Land.“

Die Londoner Architekten Kathrin Bohn und André Viljoen entwickeln eine neues Stadtmodell. Diese „produktive Stadtlandschaft“ soll die urbane Nahrungsversorgung sozial nachhaltiger gestalten und die Bürger einbeziehen. Nutzen und Nutzer müsste im öffentlichen Raum neu definiert werden. Die produktive Stadt solle ein „Venedig sein, in dem die Kanäle Felder sind“. Als Experimentierfeld könnten Einkaufszentren, Parkhäuser, Großparkplätze, Flachdächer und Bahndämme dienen.

Für den Landschaftsarchitekten Frank Lohrberg hat Guerilla Gardening keine größere Raumwirksamkeit. Dafür müsste man sich hingegen den ursprünglichen Landwirtschaftsflächen in den Städten widmen, um so eine lokale und regionale Produktion von Nahrungsmitteln zu gestalten.

In der Planung hätte bereits ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die Landwirtschaft versuche man, als Partner zu gewinnen, um die Freiflächen in der Stadtregion zu erhalten.

Auf Massenanbau angelegte urbane Landwirtschaft wird jedoch wenig mit „Kooperation, Gelassenheit, handwerkliches Können, Lebendigkeit, Empathie und Großzügigkeit“ oder der „Kunst des einfachen Lebens“ zu tun haben.

Urban Gardening stellt die Frage nach einer neuen Produktionsweise, die Menschen und Natur würdig ist. Beantwortet ist diese Frage längst nicht.

Literatur:

Selbstversorgung für Einsteiger: Große Ernte im kleinen Garten von Simon Akeroyd

Der eigene Naturkeller von Mike & Nancy Bubel

Der Selbstversorger: Mein Gartenjahr: Säen, pflanzen, ernten. Inkl. DVD und App zur Gartenpraxis: Storl zeigt, wie’s geht! (GU Garten Extra) von Wolf-Dieter Storl

Das Ende der Großen: Zurück zum menschlichen Mass von Leopold Kohr

Verweise:

http://www.urban-gardening.eu/

http://www.tthannover.de/tth-projekte/wandergarten/

http://www.urbanfarming.org/

Quellen: PublicDomain/heilpraxisnet.de

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One thought on “Urban Gardening – Guerilla-Gärten in der Stadt

  1. Die Dame die meint das dies etwas für Kuba wäre, kennt sicher nicht Kuba und auch keine Kubaner/innen. Wenn sich andere Erdenbürger vielleicht der Angelegenheit Boden bearbeiten, pflanzen, ernten usw. annehmen würden dann ja. Aber Kubaner warten leber den ganzen langen Tag und schaun vielleicht mal zum Himmel, ob das Essen vielleicht gleich fertig in den Mund fliegt. Falls mir jetzt jemand widersprechen will: ich habe lange Zeit auf der Insel gelebt und besuche jährlich Kuba.

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