Enttäuschung bei West-Investoren – Ende der China-Party

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Das Wachstum schwindet, die Gehälter steigen: Chinas Wirtschaft steckt in einem historischen Umbruch. Unter europäischen Investoren wächst die Ernüchterung – jeder fünfte erwägt inzwischen gar, dem Standort den Rücken zu kehren. Die Volksrepublik verliert ihren Vorteil als Billiglohnland.

Die Europäische Handelskammer hat am Dienstag eine überraschende Umfrage veröffentlicht. Mehr als jedes fünfte Unternehmen denkt demnach darüber nach, seine Investitionen in China zurückzufahren und sich stärker in anderen Boom-Ländern zu engagieren. In Vietnam oder Indien zum Beispiel – oder in Südamerika. Vor allem Anbieter von Konsumgütern orientieren sich laut Umfrage um.

Während die meisten Firmen noch im China-Boom schwelgen, während der deutsche Mittelstand das Land gerade als neuen Absatzmarkt für sich entdeckt, scheint bereits eine Gegenbewegung zu entstehen. Viele Investoren seien frustriert, heißt es in der Umfrage, weil das Boom-Land nicht das hält, was es verspricht. Drei Hauptgründe werden für die neue Investorenskepsis genannt.

  • Erstens flaut das chinesische Wachstum ab. In den vergangenen Jahren legte die Wirtschaft im Schnitt um rund zehn Prozent pro Jahr zu, für das aktuelle Jahr peilt die Regierung 7,5 Prozent an. Für westliche Länder wäre das viel, für China ist es ein Rückschlag. Seit gut einer Woche kursieren sogar Gerüchte über ein staatliches Konjunkturpaket. Kurzfristig würden Investoren von solch einem Programm profitieren, gleichzeitig schürt es Zweifel, wie nachhaltig das chinesische Wachstumsmodell noch ist. 65 Prozent der befragten Unternehmen betrachten die wirtschaftliche Unsicherheit als größtes Risiko für Investitionen.
  • Zweitens steigen die Kosten für Löhne rapide. Laut dem staatlichen statistischen Jahrbuch sind die Durchschnittseinkommen in den Städten zwischen den Jahren 2000 und 2010 von 9333 auf 36.539 Yuan gestiegen, haben sich also fast vervierfacht. In der Umfrage monierten europäische Firmen Schwierigkeiten, talentierte Mitarbeiter zu finden und diese im Betrieb zu halten. Mehr als die Hälfte gab an, die Gehaltsvorstellungen der Bewerber seien überzogen.
  • Drittens beklagen viele ausländische Unternehmen den unsicheren rechtlichen Rahmen für Geschäfte. Mehr als ein Drittel der befragten Firmen gab beispielsweise an, die Regierung fordere von ihnen weit strengere Umweltauflagen als von der chinesischen Konkurrenz. Zwei Drittel der Unternehmen gaben an, ihnen seien durch Benachteiligungen Geschäfte entgangen. Die Umsatzeinbußen gingen insgesamt in die Milliarden.

Der Standort China wird für einen Teil der Investoren unattraktiver. Das zeigt, wie stark sich die Wirtschaft des Landes verändert. Doch die eigentliche Frage lautet: Ist der Aufschwung dadurch bedroht? Verspielt das Boom-Land seine strukturellen Vorteile?

„Die Wild-West-Ära ist vorbei“

Nach Ansicht von Simon Cox lässt sich Chinas Wirtschaft gut mit einem Fahrrad vergleichen. Beide müssten ein gewisses Tempo halten – sonst droht ein schmerzhafter Sturz, schreibt der Autor des US-Magazins „Economist“ in einer Analyse über die ökonomischen Umbrüche der angehenden Supermacht.

Der chinesischen Regierung galten acht Prozent Wirtschaftswachstum lange als Untergrenze, um das Land stabil zu halten, um genug Wohlstand und Arbeitsplätze für die 1,35-Milliarden-Menschen-Nation zu schaffen. Für das laufende Jahr hat die Regierung nun nur noch ein Wachstumsziel von mindestens 7,5 Prozent festgelegt. Der Fokus verschiebt sich vom schwindelerregenden Boom in Richtung Stabilität.

Gleichzeitig ändert sich der wirtschaftspolitische Fokus. „China steht vor einem Strukturbruch“, sagt Horst Löchel, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management (FSM), der acht Jahre in China Wirtschaftswissenschaften unterrichtete. „Es verliert seinen Standortvorteil als Billiglohnland.“ Damit die Wirtschaft wachsen kann, muss sie von der Kopier-Nation zur Hightech-Industrie werden. „Investoren, die auf günstige Produktionsstätten setzen, werden bald abziehen“, sagt Löchel. „Die Wild-West-Ära ist vorbei, und das ist auch gut so.“

Der Wettbewerb wird härter

Um die Wirtschaft weiterzuentwickeln, hat Chinas Kommunistische Partei zahlreiche Reformen angeschoben: Die Forschungsausgaben sollen bis 2020 auf 402 Milliarden Dollar anschwellen und sogar die der USA übertreffen. Das Kreditwesen wird modernisiert, mit besonderem Fokus auf die Privatwirtschaft. Der Kapitalmarkt wird allmählich geöffnet, die Bedeutung der Landeswährung Yuan wird international gestärkt. Ab 1. Juni werden beispielsweise China und Japan ihren Handel nicht länger über den Dollar abwickeln, sondern direkt in Yuan und Yen.

Der Umbau der chinesischen Wirtschaft ist ein Mammutprojekt, das in der Kommunistischen Partei einen Richtungsstreit darüber entfacht hat, wie viel Marktwirtschaft das Land wagen muss. Wie viel Rückhalt die Reformblockierer in der Bevölkerung haben, zeigte sich zuletzt beim Sturz des Neomaoisten Bo Xilai. Der ließ Regierungsangestellte „Rote Lieder“ schmettern, als er noch KP-Chef der Metropolregion Chongqing war – und soll nicht zuletzt wegen seines bedenklichen Populismus abgesetzt worden sein. Die Anti-Kapitalismus-Bewegung konnte das kaum dämpfen. Die Wut jener Millionen Menschen, die sich im China-Boom abgehängt fühlen, kanalisiert sich derzeit in einem gespenstischen Kult um den toten Diktator Mao Tse-tung – den die Regierung unter anderem dadurch bekämpft, dass sie Dutzende linksgerichtete Webseiten sperren lässt und das Internet immer schärfer zensiert.

Investoren sind verunsichert, ob die Regierung das Land schnell genug reformieren kann. Wenn der zügellose Boom allmählich abebbt, wenn die Löhne steigen und heimische Betriebe sich zusehends zu Hightech-Firmen mausern, dann sehen sich ausländische Firmen zudem einem immer schärferen Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen ausgesetzt.

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„Derzeit handelt Chinas Regierung aus einer Position der absoluten Stärke heraus“, sagt Löchel von der FSM. „Sie bevorzugt die eigenen Unternehmen gegenüber ausländischen Konkurrenten bis über das Erlaubte hinaus.“ Europäische Firmen müssen sich also doppelt und dreifach anstrengen. Dabei dürften einige auf der Strecke bleiben.

Eine Besserung der Lage ist kaum in Sicht. „Wenn zu viele ausländische Investoren aus dem Land abziehen, dürfte die chinesische Führung ihre nationalistische Industriepolitik ein wenig lockern“, sagt Löchel. Vermutlich aber eben immer nur so weit, wie sie muss.

Durch die Veränderung der chinesischen Wirtschaft drohen ausländischen Firmen also noch rauere Zeiten als bisher. Schon jetzt gibt ein Drittel der Firmen an, ihre Gewinnmargen seien in China geringer als im weltweiten Durchschnitt. Und viele geben an, ihr Ziel sei gar nicht mehr, neue Marktanteile zu erobern – sondern die bestehenden zu halten.

Quellen: Reuters/Der Spiegel vom 29.05.2012

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