Die widerspruchslose Gesellschaft

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der Widerspruch als Illoyalität und der Abstieg als unumstößliches Gesetz umgedeutet wird. Wer sich dagegen wehrt, wird diffamiert.

 „Überall verdienen die jungen Menschen weniger als ihre Väter und Mütter, sie zahlen höhere Abgaben und können erst viel später in Rente gehen. Und die Älteren bangen unter der Herrschaft der Finanzmärkte um den Lohn ihres Lebens. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Nichts ist mehr sicher. Eine Zivilisation zerfällt. Und die Eliten haben keine Idee, wie die Gesellschaft von morgen aussehen soll.“[1] (Verfallssymptome, in der Folge VS, Umschlagtext).

So wird auf schon auf dem Umschlag des Buches von Günther Lachmann „Verfallssymptome – Wenn eine Gesellschaft ihren inneren Kompass verliert“ von Günther Lachmann eine empörte Momentaufnahme des gesellschaftlichen Verfalls unter dem Diktat der Finanzmärkte zusammengefasst. Es ist ein Abgesang auf eine Gesellschaft, die – erfolgreich wie kaum eine vor ihr – lange Zeit dafür gesorgt hat, dass alle ihre Bürger ein Auskommen haben und auch die Chance, ihre Lebensumstände weiter zu verbessern. Aus einer Textstelle im Buch selbst kann man die Passage wie folgt ergänzen:

„Alle Versprechen, mit denen die Bundesrepublik nach dem Krieg Demokratie und Marktwirtschaft verband, scheinen gebrochen. Im sozialen Gefüge wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, in ihr versinkt die Hoffnung auf gesellschaftliche Teilhabe. Alte, durch Fleiß und Sparsamkeit geprägte Handlungsmuster scheinen nicht mehr zielführend. Nie zuvor war der soziale Aufstieg für Kinder aus sozial schwachen Ver-hältnissen in der Bundesrepublik so schwer, denn Bildung ist inzwischen wieder zum Privileg der Begüterten geworden. Doch auch wer das Gymnasium und die Universität erfolgreich abschließt, kann nicht mehr auf ein auskömmliches Leben hoffen.“ (VS, S. 8)

Parallelen zu Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“

Die bisherige Ordnung zerfällt, Gewissheit, Sicherheit und Halt verschwinden, wie das Neue aussehen soll, ist noch unklar. Die Rede ist auch von einem Epochenwechsel, einem sich gerade vollziehenden grundlegenden Wandel in der Gesellschaft des demokratischen Kapitalismus, wobei schon diese Wortwahl anzeigt, dass der Kapitalismus eben auch ohne Demokratie auskommen kann; das unter anderem ist eines der Themen, die im Buch angesprochen werden. Wenn man oben zitierte Passagen aus Günther Lachmanns neuem Buch liest, ist man unwillkürlich an einen anderen großen Abgesang auf eine Zeit erinnert, auf Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“, dort heißt es im Kapitel „Die Welt der Sicherheit“:[2]

„Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen öster-reichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit. Die Rechte, die er seinen Bürgern gewährte, waren ver-brieft vom Parlament, der frei gewählten Vertretung des Volkes, und jede Pflicht genau begrenzt. Unsere Währung, die österreichische Krone, lief in blanken Goldstücken um und verbürgte damit ihre Unwandelbarkeit. Jeder wußte, wieviel er besaß oder wieviel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht. Wer ein Vermögen besaß, konnte genau errechnen, wieviel an Zinsen es alljährlich zubrachte, der Beamte, der Offizier wiederum fand im Kalender verläßlich das Jahr, in dem er avancieren werde und in dem er in Pension gehen würde. Jede Familie hatte ihr bestimmtes Budget, sie wußte, wieviel sie zu verbrauchen hatte für Wohnen und Essen, für Sommerreise und Repräsentation, außerdem war unweigerlich ein kleiner Betrag sorgsam für Unvorhergesehenes, für Krankheit und Arzt bereit-gestellt. Wer ein Haus besaß, betrachtete es als sichere Heimstatt für Kinder und Enkel, Hof und Geschäft vererbte sich von Geschlecht zu Geschlecht; während ein Säugling noch in der Wiege lag, legte man in der Sparbüchse oder der Sparkasse bereits einen ersten Obolus für den Lebensweg zurecht, eine kleine ›Reserve‹ für die Zukunft. Alles stand in diesem weiten Reiche fest und unverrückbar an seiner Stelle und an der höchsten der greise Kaiser; aber sollte er sterben, so wußte man (oder meinte man), würde ein anderer kommen und nichts sich ändern in der wohlberechneten Ordnung. Niemand glaubte an Kriege, an Revolutionen und Umstürze. Alles Radikale, alles Gewaltsame schien bereits unmöglich in einem Zeitalter der Vernunft.“ (Stefan Zweig, Die Welt von Gestern, Köln 2013, S. 17 f)

Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881 – 1942) setzte diese Einschätzung seiner „Welt von Gestern“ am Anfang seines biographischen Werkes, das er schon 1941 vollendet hatte. Es erschien aber erst 1942 nach seinem Suizid im brasilianischen Petropolis. Zweig, durch seine Bucherfolge eigentlich wirtschaftlich gesichert, hatte seine Heimatlosigkeit nicht mehr ausgehalten. Er schrieb seinen Rückblick, als für ihn das alte Europa, die euro-päische Vielfalt, Kreativität und Originalität, die er als einzigartig empfand, durch Krieg und Revolution untergegangen war. Im vom nationalsozialistischen Deutschland ent-fesselten zweiten Krieg waren dessen Truppen gerade an allen Fronten erfolgreich. Zweig musste keinen Verfall mehr beschreiben, sondern konnte aus seiner Sicht nur noch den Exitus der europäischen Zivilisation konstatieren.

Skizze des langsamen Verfalls unserer Nachkriegswelt

Dagegen schreibt Günther Lachmann, wenn auch zunehmend resigniert, immerhin noch aus einer Perspektive, die zwar die zunehmende Verschlechterung wahrnimmt, aber die Hoffnung auf einen Reformweg hin zum Besseren nicht gänzlich aufgegeben hat. Er unternimmt deshalb die schwierige Aufgabe, die zahlreichen Spielfelder, Entwicklungs-linien und Facetten des Verfallsprozesses der westlichen Gesellschaft aufzuzeigen. So ergibt sich kein Bild eines vollzogenen Zusammenbruchs, sondern die Darstellung eines neueren Zerfalls seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Stefan Zweig be-klagt den Untergang „seiner“ Welt. Es ist die Welt eines Sohnes aus begütertem Hause, die Welt der europäischen Oberschicht. Für die Unterschicht und weite Teile der Mittelschicht war das Jahr 1914 kein so bemerkenswerter Bruch mit ihrem bisherigen Leben. Der Krieg hat zwar alles noch verschärft, aber auch schon vorher gab es viele Unsicherheiten, und harte Lebensbedingungen unter dem Diktat von knappen Kassen und immer drohenden Krankheiten.

Die westliche Welt nach dem zweiten Weltkrieg war auf einzigartige Weise erfolgreich. Sie gewährleistete nicht nur einer Oberschicht, sondern auch den anderen Gesellschafts-schichten ein gutes Leben. Und sie versuchte, so gut es ging, eine Chancengleichheit her-zustellen, damit auch die Kinder der nach heutigem Sprachgebrauch „bildungsfernen Schichten“ zumindest die Möglichkeit bekamen, aus ihrem Leben etwas zu machen. Aber all das wird nun rückgängig gemacht. Günther Lachmann skizziert den langsamen Zerfall unserer Nachkriegswelt etwa ab Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts:

„Wirtschaftshistoriker und Soziologen sind sich inzwischen weitgehend einig, dass die Epoche des Wirtschaftswunders und damit der ungebremste Aufstieg einer ganzen Gesellschaft bereits Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zu Ende ging und damals die Aushöhlung der sozialen Marktwirtschaft begann.“ (VS, S. 24)

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In einer globalisierten Welt, immer mehr gesteuert durch internationale Funktions- und Machteliten, sind nationale Gesetze und Übereinkünfte, wie man ein gutes und erträg-liches Leben für möglichst viele Menschen gestalten kann, keinen Pfifferling mehr wert. Der demokratisch organisierte Nationalstaat ist inzwischen weit in der Defensive, er ist unter dem Druck des global agierenden Kapitalismus allmählich kein Schutzraum für seine Bürger mehr, seine Gesetze werden durch internationale Abkommen oder auch durch pure Anmaßung amerikanischer Richter ausgehöhlt. Es entsteht langsam wieder – und das ist die Grundangst Günther Lachmanns – ein krass auseinander klaffendes Oben und Unten in allen Staaten, auch den europäischen:

„Tatsächlich haben die Eliten aus einer erfolgreichen und in vielen Entwicklungsländern zum Vorbild erhobenen sozialen Marktwirtschaft eine Gesellschaft gemacht, in der Armut und Reichtum immer weiter auseinanderklaffen und die Arbeitnehmer der bröckelnden Mittelschicht in zunehmendem Maße allein für die sozialen Risiken des Lebens vorsorgen müssen.“ (VS, S. 102)

Erosion von Vertrauen und Verantwortung

Man wird wohl, so muss man als Rezensent hinzufügen, den Menschen bald wieder an den Zähnen ansehen, ob sie zum Oben oder dem Unten gehören. Bald könnte es sein, dass man die Zustände in fast allen europäischen Ländern nicht mehr unterscheiden kann von den Gegebenheiten in den Schwellen- und Drittweltländern. Deren korrupte und autoritäre Politikerschicht schert sich schon jetzt einen Dreck um eine Bevölkerung, die nur dazu da ist, aus ihr die jeweiligen Helfershelfer zu rekrutieren, um die Oberschicht vor dem Rest der Gesellschaft zu schützen. Günther Lachmann sieht, wie der Zerfalls-prozess immer weiter voranschreitet, eine „Erosion von Vertrauen und Verantwortung“ (VS, S. 48), und versucht ihn seinen Lesern bewusst zu machen:

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„Heute sind wir in der Endphase dieses langen Prozesses angekommen. Die Bürger sehen ihre Interessen nur noch bedingt durch ihre demokratisch gewählten Reprä-sentanten vertreten, sie hadern mit Regierungsentscheidungen und empfinden sich nicht mehr als mitspracheberechtigte Demokraten, sondern als Opfer einer Machtergreifung des Kapitalismus, die alle sozialen und moralischen Werte zerstörte, die einst das Maß der bürgerlichen Gesellschaft waren.“ (VS, S. 47)

Diese Entwicklung hin zu einem pseudo-demokratischen Regierungssystem, in dem es eigentlich egal ist, wer an der Macht ist, weil auch die nächste Regierung nahtlos die Politik fortsetzt, wegen der man die alte abgesetzt hat, legt die Axt an unser demo-kratisches System. Treffend formuliert es Günther Lachmann im Zusammenhang mit der spanischen Politik die um sich greifende Resignation der Wähler, es gilt aber auch für alle anderen Staaten des zerfallenden demokratischen Kapitalismus:

„Sie wissen, dass sie zwar Wahlen abhalten und Regierungen austauschen können, dadurch aber dennoch nichts verändern. Die Demokratie ermöglicht nur noch den Wechsel von Personen, nicht der Politik. Sie ist ausgehöhlt.“ (VS, S. 218)

Günther Lachmann stützt sich in seiner Zerfallsbeschreibung vor allem auf die Analyse des Soziologen Wolfgang Streeck (z. B. VS, S. 129 – 136 im Kapitel „Epochenwechsel“), der in seinem Buch „Gekaufte Zeit“ von einem Transformationsprozess des Nachkriegs-kapitalismus spricht, der von der Politik betrieben wurde und in bestimmten Stufen ablief (Gekaufte Zeit, S. 51 ff.):[3] Nach dem 2. Weltkrieg wurde in einem politisch-ökonomisch postwar settlement ein „demokratischer Kapitalismus“ installiert, der sich in den Rahmen einer politisch bestimmten Wirtschaftssteuerung einbinden ließ.

Der Kapitalismus war nach 1945 in der Defensive, die sowjetische Alternativ-Wirtschaftsordnung war noch nicht gescheitert, die Systemkonkurrenz noch virulent, eine erstarkte Arbeiterschicht konnte Forderungen stellen. Der Kapitalismus ließ sich in eine liberale Demokratie einbauen, da sie umgekehrt seine eigene Existenz absicherte. Durch staatliche Konjunktur- und Umverteilungspolitik konnte lange Zeit Wachstum, sozialer Ausgleich und Vollbeschäftigung gewährleistet werden.

Als ein stetiges und hohes Wirtschaftswachstum und damit das Ziel einer Vollbe-schäftigung Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre immer unrealistischer wurde, um einer Legitimationskrise der Demokratie zu entgehen, wurde die Geldpolitik zum ersten Rettungsanker. Die Geldpolitik der Notenbanken war nun Ersatz für fehlendes Wachstum. Die Folge waren allerdings hohe weltweite Inflationsraten. Diese inflationäre Geldpolitik, die zu einem beschäftigungspolitischen Strohfeuer und einer Wohlstandsillusion führte, sicherte aber die Vollbeschäftigung und damit erst einmal den sozialen Frieden in einer sich rasch entwickelnden westlichen Konsumgesellschaft. Diese Reparatur des Nachkriegskapitalismus hielt so lange, bis der Verfall des Geldwerts die Besitzer von Geldvermögen zur Flucht in andere Währungen veranlasste.

Untaugliche Reparaturversuche

Da auch weiterhin die hohen Wachstumsraten, die zur Aufrechterhaltung des Nachkriegs-kapitalismus nötig waren, nicht kommen wollten, musste ein neuer Reparaturansatz mit anderen Mitteln gefunden werden: Es begann die Zeit der Staatsverschuldung. Es wurde ein zweites Mal das Geldsystem in Anspruch genommen, doch nicht mehr über die Notenpresse, sondern die Banken. Von ihnen ließen die Staaten sich nun die künftigen Steuereinnahmen vorfinanzieren. Die Schuldenlast der Staaten wuchs, Steuererhöhungen, die hier mäßigend hätten wirken können, waren meistens zu brisant für die aktuell regierenden Politiker. Auch dieser Lösungsansatz war nur zeitlich begrenzt, die privaten Geldgeber waren nicht bereit, den Staaten unbegrenzt Geld zu leihen und forderten eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Es kam zu einer ersten Welle der Kürzung von Sozialleistungen.

Das hat natürlich auch zu einem Rückgang des Massenkonsums geführt. Nun musste ein neuer Reparaturversuch unternommen werden, der über liberalisierte Finanzmärkte lief, also auch hier über das Geldsystem. Sie ermögliche eine rapide Erhöhung der Privat-verschuldung, einen privatisierten Keynesianismus, der die staatliche Verschuldung ersetzte und damit Wachstum erzeugte. Streeck bezeichnet diese Phase als „die dritte und bisher letzte Variante der Schließung der Versprechenslücke des späten Nachkriegs-kapitalismus mit vorgezogener Kaufkraft“.[4] Der Staat beschränke sich jetzt nur noch darauf, durch entsprechende regulative Politik den privaten Haushalten zu ermöglichen, sich auf eigene Rechnung und eigenes Risiko zu verschulden, um Ausfälle bei ihren Ein-kommen aus Erwerbstätigkeit und staatlichen Sozialleistungen auszugleichen. Streeck fasst die Transformation des Nachkriegskapitalismus, der von den Ideen der neoliberalen Vordenker entsprechend legitimiert wurden, wie folgt zusammen:

„Inflation, Staatsverschuldung und Privatverschuldung waren zeitweilige Notbehelfe, mit denen demokratische Politik den Anschein eines Wachstumskapitalismus mit gleichen materiellen Fortschritten für alle oder gar allmählicher Umverteilung von Markt- und Lebenschancen von oben nach unten aufrechterhielt. Alle drei hatten sich nacheinander erschöpft und mussten durch andere Notbehelfe abgelöst werden, als die Nutznießer und Verwalter des Kapitals nach jeweils einem guten Jahrzehnt extensiver Anwendung anfingen, sie zu teuer zu finden.“ (Gekaufte Zeit, S. 225)

Die „gekaufte Zeit“ ist langsam abgelaufen. Die aus solcher Politik entstandenen Schuldenberge in den westlichen Gesellschaften können nur noch schwerlich weiter aufgetürmt werden, um weitere Zeit zu kaufen. Verschuldete Menschen, Unternehmen und Staaten können kein weiteres Wachstum mehr erzeugen, die derzeitige Politik unternimmt den verzweifelten Versuch, immer weiter zu reparieren, was nicht zu reparieren ist. Soweit der Soziologe Streeck.

Einmal mehr zeigt sich, dass Verschuldung zur Aufrechterhaltung des Massenkonsums nichts weiter als vorgezogener Konsum ist, der in der Zukunft ausfällt. Dieses Wort des ehemaligen Reichsbankpräsidenten der Zwischenkriegszeit, Schacht, hat leider nichts von seiner Gültigkeit verloren. Den Begriff „demokratischer Kapitalismus“ als Ausgangs-punkt eines gelungenen Entwurfs einer Gesellschaft übernimmt Günther Lachmann von Wolfgang Streeck. Auf der Basis der Analyse von Streeck zeichnet er dann in seinem neuen Buch nach, welche Veränderungen sich aus dieser Transformation des demo-kratischen Kapitalismus in den autoritativen Kapitalismus, in einen globalen Finanz-kapitalismus ohne lästige, die Bürger beschützende Beschränkungen durch irgendwelche Gesetze nationaler Regierungen in Deutschland und Europa vor sich gingen und gehen. Er macht diese Veränderungen fest an den Themen „Familie“, „Arbeit und Alter“, „Heimat“, „Redlichkeit“, „Moral“, „Gerechtigkeit“, „Eliten“ und „Kirche“. Wie man sieht, behandelt er damit nicht nur das Thema „Ökonomie“.

Kapitalismus bricht soziale Zugeständnisse

Der Transformationsprozess des Kapitalismus läuft im Rahmen der Globalisierung ab bzw. hat sie zur Bedingung; dies hat signifikanten Auswirkungen auf lokale oder regionale Wert- und Moralvorstellungen. Nationale Eliten transformieren sich zu globalen mit ganz eigenen Ansichten darüber, was in einer gerechten Gesellschaft passieren soll. Die Globalisierung führt auch zu einer vermehrten Entwurzelung von Menschen, die der Arbeit nachziehen müssen und für die das Wort „Heimat“ keine Bedeutung mehr hat. In der Folge soll auf drei der Themen („Arbeit und Alter“, „Heimat“, „Eliten“), die von Günther Lachmann genannt werden, um den Prozess des Zerfalls deutlich zu machen, genauer aufgeführt werden.

Arbeit und Alter: Die Auswirkungen einer verfehlten Familienpolitik in Deutschland, auch hier wurde viel zu sehr auf die Belange der Wirtschaft und nicht der Gesellschaft als Ganzes eingegangen, haben in Deutschland zu einem demographischen Problem geführt: Kinderlosigkeit. Wer soll überhaupt noch die Renten für die vielen Rentner aufbringen? Das wird aber durch die Veränderungen im kapitalistischen System noch zusätzlich verschärft, indem die Lebensarbeitszeiten der Lohnabhängigen aufgrund von Arbeits-losigkeit immer kürzer werden, ihre Bezahlung immer geringer und somit die Ein-zahlungen in die Rentenkassen immer geringer. Das ist aber noch nicht alles. Günther Lachmann beschreibt, wie die Unternehmen seit Mitte der achtziger Jahre in einer „Frühverrentungsorgie“ ältere und meist gut bezahlte Mitarbeiter ins Rentensystem entsorgte, so dass die Kosten dieser Maßnahme die Gesellschaft und die Arbeitnehmer, die Abschläge bei den Renten hinnehmen mussten, zu tragen hatten:

„Die Frühverrentung war Teil der groß angelegten wirtschaftspolitischen Erpressung mit der Drohung, noch mehr Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.“ (VS, S. 58) Zitat-Ende Auch das, so Lachmann, sei ein eklatanter Bruch mit den Grundsätzen unter-nehmerischer Verantwortung in der sozialen Marktwirtschaft gewesen. Es war Zitat: „ein unübersehbares Zeichen dafür, dass sich in Deutschland ein Kapitalismus etablierte, der von den sozialen Zugeständnissen der alten Bundesrepublik nichts mehr wissen wollte, sondern sukzessive alle zuvor geschlossenen Gesellschaftsverträge zu den Akten legte“. (VS, S. 59/60)

Im neuen Jahrtausend verabschiedete sich der Staat unter eine Koalitionsregierung von SPD und Grünen mit der Riester-Rente dann von der Verantwortung, eine im Alter aus-reichenden Versorgung durch die staatliche Rente zu garantieren. Schrittweise (bis 2040) wird das Rentenniveau von 70 auf 40 Prozent des Durchschnittslohns gekürzt. Dafür werden die Arbeitnehmer mit der staatlich geförderten, aber privaten Riester-Rente aufgefordert, eine zweite Säule in ihrer Altersvorsorge aufzubauen. Einen Nutzen hatte vor allem die Versicherungsbranche, die mit schlechten Produkten, die Menschen abkassierte.

Inzwischen ist aber auch klar, dass mit der Niedrigzinspolitik der Notenbanken und einer weiteren Entwertung des Geldes die Absicherung durch private Altersvorsorge in jeglicher Form ad absurdum geführt wird. Für viele Menschen mit kleinen Einkommen, die aufgrund der schlechten Reallohnentwicklung auch relativ wenig zurücklegen konnten, droht nun die Altersarmut. Die schlechte Reallohnentwicklung kam auch durch eine Deregulierung des Arbeitsmarktes, die mit der Schröder-Fischer-Regierung erst so richtig Fahrt aufnahm.

In Deutschland wurde mit der Agenda 2010 die Vollzeitbeschäftigung mit unbegrenzten Arbeitsverträgen „flexibilisiert“ durch geringfügig Beschäftigte (heute 450 Euro-Minijobs), Teilzeitbeschäftigte, Selbstständige in Ich-AGs, Beschäftigung in Leiharbeit. Schon im Lambsdorff-Papier der FDP von 1982 wurde ein Umschwenken in der Arbeits-marktpolitik propagiert, jetzt wurde es praktiziert. Der Beifall der FDP war den Sozial-demokraten sicher. In diesem Zusammenhang tut es aber gut, dass der derzeitige Chef der liberalen Partei außerhalb des Bundestages darüber nachdenken darf, wie er seinen „mitfühlenden Liberalismus“ eigentlich gestalten will. Fazit von Günther Lachmann:

„Wie in der Familienpolitik ist die Arbeits- und Rentenpolitik der vergangenen drei Jahrzehnte heute deutlich als eine Bruchstelle der Gegenwartsentwicklung erkennbar, die wesentlich auf die beschriebene Machtanmaßung des Kapitals und die Dekomposition des sozialen Wirtschaftsmodells zurückzuführen ist. Mit ihr wurde die sozialpolitische Schutzfunktion des Staates eingeschränkt, der seine Vorsorgever-antwortung nun an den Einzelnen delegierte, ihm aber gleichzeitig durch sinkende Realeinkommen und eine dramatische Erhöhung der allgemeinen Arbeitsplatzrisiken die Möglichkeit der notwendigen Vorsorge entzog.“ (VS, S. 74)

Heimat Ein ganz anderes, aber genauso wichtiges Thema hängt mit dem Begriff „Heimat“ zusammen. Heimat hat etwas mit dem Ort unserer Geburt, mit dem Er-wachsenwerden und mit Vertrautheit in der Familie und unter langjährigen Freunden zu tun. Hier werden auch Wert- und Moralvorstellungen aufgebaut, die ein Leben lang halten. Auch wenn es uns in andere Regionen verschlägt, in denen wir uns niederlassen und wohl fühlen, so sprechen wir oft von unserer zweiten Heimat, die erste Heimat ist und bleibt etwas Besonderes. In dem Zustand, in den sich unsere Gesellschaft gerade transformiert, wird Heimatlosigkeit ein Massenphänomen. Günther Lachmann nennt hier zwei Faktoren, die zu einem Zersetzungsprozess führen, der „Heimat“ für immer mehr Menschen zu einem leeren Begriff werden lässt: zum einen die Entvölkerung in bestimmten Regionen und der Arbeitsdruck auf die Verbliebenen, der kaum noch Zeit für Vereinsleben und ehrenamtliche Tätigkeiten lässt. Zum anderen die von den Arbeit-nehmern geforderte Mobilität, so dass viele Menschen nicht am Ort ihres Ursprungs bleiben können:

„Jeden Tag stirbt in Deutschland ein Stückchen Heimat, und keiner nimmt es wahr. Deutschland stirbt vor allem dort, wo es heute noch ursprünglich ist und die Menschen sich ihre Eigenart bewahrt haben. Es ist ein langsamer Tod, der übers Land kriecht, von Nord nach Süd, von Ost nach West. Bis zum Jahr 2050 wird dieser Tod ganze Landstriche entvölkern. Schulen, Rathäuser und Krankenhäuser werden geschlossen.“ (VS, S. 75)

Das ist nicht nur ein ostdeutsches Phänomen, dort aber besonders heftig zu beobachten: Zitat: „Geschieht nichts, droht eine Verwahrlosung des öffentlichen Raums, der auch das Wesen der Menschen, die zurückbleiben beeinflusst. Wer einmal durch entvölkerte Dörfer in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt gefahren ist und außer einer streunenden Katze am helllichten Tag niemanden auf der Straße gesehen hat, der weiß, wie Perspektivlosigkeit aussieht. Sie schaut einen aus den wenigen Gesichtern in der Dorfkneipe an.“ (VS, S.79)

Zitat-Ende Im Abschnitt zur Kirche (thematisch aber eher hierher gehörend) beschreibt er den Druck zur Flexibilität die auf den Arbeitnehmern lasten. Auch das führt zu einem Zerfall der bisherigen gesellschaftlichen Strukturen, ohne die es „Heimat“ im ursprüng-lichen Sinne nicht geben kann:

„Dahrendorf sah in der Ortlosigkeit der Menschen ein zentrales Problem der Gegen-wartsgesellschaft. Dies gilt sowohl physisch als auch mental; das eine kommt mit dem anderen. Immer höhere Flexibilisierungs- und Mobilitätsansprüche der globalisierten Arbeitswelt entwurzeln den Menschen. Unter den ständigen Wohnortwechseln auf der Suche nach Arbeit und immerzu variierenden Arbeitszeiten leiden die Kontakte zu Freunden, Bekannten und der Familie. Zivilgesellschaftliche Strukturen zerfallen, weil die regelmäßige Teilnahme an Vereinsaktivitäten, an Stammtischen oder die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten nicht mehr möglich ist. Am Ende steht das isolierte Ich in einer individualisierten Umwelt.“ (VS, S. 113)

Eliten Ein eigenes Kapitel zur Verdeutlichung der Negativentwicklung unserer Gesell-schaft widmet Günther Lachmann auch den „Eliten“. Einen inneren Kompass sucht man bei ihnen inzwischen vergebens:

Zitat: „Die Rückentwicklung des demokratischen Kapitalismus ging Hand in Hand mit einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel, zunächst in den Vorständen großer Konzerne und Banken, dann in der Politik.“ Zitat-Ende Mit Bewusstseinswandel ist noch sehr höflich umschrieben, was sich hier abgespielt hat. Günther Lachmann nennt hier einige Facetten, einer immer übleren Entwicklung:

  • Es geht um die Abgreif-Mentalität von Vorständen und Spitzenmanagern, die sich skrupellos aus den Kassen ihrer Unternehmen bedienen und Bezüge in unglaublicher Höhe einsacken. Nach der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone erhielt der frühere Chef Klaus Esser eine Abfindung von 60 Millionen Mark, viele seine früheren Mitarbeiter dagegen Kündigungsbriefe.
  • Es geht um die Entwicklung hin zu selbstherrlichen und arroganten Auftritten von Führungskräften, die in der alten Bundesrepublik völlig undenkbar waren. Ein erster Einbruch in dieser Richtung war die Peanuts-Aussage des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Kopper auf einer Pressekonferenz zum Konkurs des Baulöwen Schneider. In Erinnerung ist auch noch die Victory-Pose eines Deutsche-Bank-Chefs Ackermann im Mannesmann-Vodafone-Prozess um eben erwähnte Esser-Abfindung, der damit seine geringe Achtung irgendwelcher Gerichte sehr deutlich machte.
  • Zu nennen ist das Consulting-Unwesen in den Firmen, in denen externe Berater rigorose Entscheidungen zur Personaleinsparung treffen und die Führungskräfte die Ratschläge als unumstößlichen und objektiven Ratschluss direkt umsetzen, egal wie viele Mitarbeiter auf die Straße gesetzt werden.
  • Ebenso die Konformität der jungen Führungskräfte, die nicht mehr durch konstruktive Kritik und kluge Analyse weiterkommen, sondern nur durch kritik- und widerspruchlose Umsetzung von Anweisungen. Wer von den „gefönten Kens und Barbies“ (hier zitiert Lachmann den deutschen Manager und Ausbilder Thomas Sattelberger) nicht performt, der fliegt.
  • Kurz wird von Lachmann auch das Versagen der kirchlichen Eliten genannt, Miss-brauchsfälle in ihren Reihen rückhaltlos aufzuklären. Man müsste hinzufügen, dass dies auch für gewisse Teile der linksintellektuellen Elite gilt, denn die Geschehnisse an der Odenwald-Schule betreffen ein linkes Projekt.
  • Das Verhalten der Politiker passt zu diesem traurigen Bild. Das politische Personal erfüllt die Mindeststandards nicht mehr, die früher galten. Da gibt es einen kurz-zeitigen Bundespräsidenten, der sich seinen Hauskauf durch einen ominös niedrigen Kredit finanziert, den er dann öffentlich rechtfertigen muss, bevor er unter peinlichen Umständen abtreten muss. Abtreten mussten auch Minister und politische Hinter-bänkler, die überführt wurden, in ihren Doktorarbeiten plagiiert zu haben: zu Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis und Schavan. Letztere hatte sich noch fremdgeschämt als die Plagiatsaffäre von zu Guttenberg immer virulenter wurde, getreu dem alten Grundsatz „Feind, schlimmster Feind, Parteifreund“.

Westliche Gesellschaft als Reparaturbetrieb

Dass mit Schavan ausgerechnet die Wissenschaftsministerin des unsauberen wissen-schaftlichen Arbeitens überführt wurde, ist ein wirklich guter Gradmesser eines fort-schreitenden Verfalls von Werten. Bezeichnend ist auch, dass Frau Schavan nun nicht in der Versenkung verschwindet, sondern Botschafterin der Bundesrepublik im Vatikan geworden ist. Seriosität ist nicht mehr erforderlich zur Bekleidung von Ämtern und Botschaftsposten. Den Niedergang der politischen Elite kann man aber auch an der Euro-Rettungspolitik ablesen, denn hier wird eine fatale Politik der Schuldenhaftung, die vor allem die Jüngeren belasten wird, als „alternativlos“ verkauft, und es regt sich nur ein zahlenmäßig geringer Widerstand. In den Worten Günther Lachmanns:

„Wer sich ein Bild von der Seriosität der Euro-Rettungspolitik machen will, der sollte sich den Panorama-Beitrag ansehen, in dem Abgeordnete kurz nach der Abstimmung über die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gefragt wurden, was sie eigentlich gerade beschlossen hätten, und keine Antwort wussten. Diese Euro-Rettungsaktionen waren die Bankrotterklärung der Politik zugunsten der Banken. Denn heute weiß jeder, dass das Geld, das an die Griechen überwiesen wurde, postwendend zurückkam und in den Bilanzen der Banken landete, die dem Land über viele Jahre leichtsinnig Kredite gegeben und gut daran verdient hatten. Jetzt, da die Wette geplatzt war, wälzten sie die Verluste mit Hilfe der Politik auf die Steuerzahler ab.“ (VS, S. 111/112)

Gerade im Zusammenhang mit der Euro-Rettungspolitik gab es auch einen Vorgang, der den Demokratieverfall eigentlich gut illustriert hat; da hätte man noch einen „drauf-setzen“ können: Die Art und Weise, wie in der CDU mit den Euro-Rebellen um Wolfgang Bosbach umgegangen wurde, war bezeichnend. Ein stromlinienförmiger und ent-sprechend konformer Politmanager wie Ronald Pofalla, zur damaligen Zeit Chef des Bundeskanzleramts, versuchte ihn einfach wegzumobben, indem er gegenüber dem innerparteilichen Kontrahenten verbal ausfällig wurde: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“. Und als Bosbach auf die im Grundgesetz garantierte Gewissensfreiheit von Abgeordneten hinwies, soll die Antwort gekommen sein: „Ich kann den Scheiß nicht mehr hören“. Diese Art von innerparteilicher Demokratie ist nur noch zum Abgewöhnen.

Als neuere Entwicklung könnte man auch den Fall Edathy noch nennen. Reiht sich doch auch dieser Vorgang, in dem ein (ehemaliger) Bundestagsabgeordneter verdächtigt wird, sich kinderpornographisches Material beschafft zu haben, geradezu nahtlos in den Ab-gesang auf unsere derzeitige Elite ein. Als Fazit bleibt: Ob global oder national, es ist eine ökonomische und politische Elite der Angepasstheit bei gleichzeitiger Maximierung des eigenen Nutzens entstanden, eine peinliche Schicht von Abzocker-Managern und Politik-darstellern, deren Moralvorstellungen und deren Raffgier in früheren Zeiten ausgereicht hätten, sie auf dem Marktplatz an den Pranger zu stellen.

Im Schlusskapitel seines Buches mit der Überschrift „Zurück in die Zukunft“ wirkt Günther Lachmann doch ziemlich resigniert, ob die westlichen Gesellschaften aus der offensichtlichen und selbst verschuldeten Krise wieder herauskommen werden. Der Zerfall stabiler sozio-ökonomischer Verhältnisse und die Verdrängung freiheitlich-demokratischer Prinzipien durch Regierungen, die zwar von den Völkern gewählt wurden, aber die Politik eines immer stärker werdenden autoritativen Kapitalismus durchsetzen, wird weiter gehen, so die Befürchtung von Günther Lachmann (VS, S. 225):

„Da nunmehr selbst die Privathaushalte so hoch verschuldet sind, dass sie keine weiteren Kredite für vorgezogenes Wachstum aufnehmen können, scheint also alles darauf hinauszulaufen, dass sich für die freien Gesellschaften des Westens erstmals unausweichlich die Existenzfrage des demokratischen Kapitalismus in einer globalen Welt stellt. Er kann sich keine weitere Zeit mehr erkaufen.“ (VS, S. 225/226)

Für ihn offenbart sich die ganze Misere in dieser Umbruchszeit auch in einer um-fassenden Ideenlosigkeit, denn „die Eliten haben keine Idee, wie die Gesellschaft von morgen aussehen soll“ (VS, Umschlagtext). Unsere auf Stromlinienförmigkeit gebürstete politische Abnick-Elite kann allerdings nicht mehr viele neue Ideen haben. Das führt zu einem gefährlichen Dilemma:

„Es gibt keine Idee. Niemand hat eine tragfähige Idee, weder die Ökonomen, noch die Parteien oder die Protestbewegungen haben eine. Die Opfer der Auflösung des demokratischen Kapitalismus gehen auf die Straße, zu Zehntausenden, zu Hundert-tausenden, und schreien heraus, was sie nicht wollen. Aber was sollen sie wollen? Wie könnte der Ersatz für das aussehen, was sie zu Opfern einer Krise gemacht hat, die andere verschuldet haben?“ (VS, 227)

Bis jetzt erscheint die westliche Gesellschaft als Reparaturbetrieb. Laufend werden alternativlose Maßnahmen generiert. Die einzige Idee ist die Aufrechterhaltung des Status quo, alles soll so bleiben, wie es ist – für die Eliten. Dass die Lage sich für andere Teile der Gesellschaft schon längst zum Negativen hin verändert hat, dass hier nichts mehr sicher ist, ist in dieser Perspektive zweitrangig. Zumindest könnte das die Aversion von Teilen der Elite gegen neue Ideen durchaus erklären, denn sie leben ja gut in der aktuellen Situation.

Allerdings müsste zumindest den Intelligenten unter ihnen klar sein, dass es nicht endlos so weiter gehen kann. Eventuell gibt es aber noch andere Gründe für die aktuelle Ideen-losigkeit. Günther Lachmann spekuliert in seinem Buch nicht, sondern versucht die Fakten aufzuzeigen. Als Rezensent ist man da freier und kann auch Folgendes fragen: Vielleicht gibt es schon Ideen zu einer Neugestaltung unserer Gesellschaft, aber niemand will sie offen aussprechen? Warum sollte man dann noch andere Ideen fördern?

Wollen wesentliche Teile der Elite überhaupt noch die Demokratie der Nachkriegszeit mit einem eingebundenen und beschränkten Kapitalismus und einer starken Mittel-schicht, die der Träger von Wirtschaft und Gesellschaft ist? Für große Teile der Bevölkerung werden die Zeiten immer unsicherer, sie werden in immer prekärere Lebensverhältnisse gedrängt, damit aber können die Eliten gut leben, solange sie selbst nicht davon betroffen sind bzw. vor den Auswirkungen geschützt werden.

In der Einschätzung der globalen Eliten könnte der endgültig etablierte autoritative Kapitalismus, den Günther Lachmann am Horizont aufsteigen sieht, ein durchaus akzeptiertes Modell sein, zumal dieser neue Kapitalismus ganz bestimmt dafür sorgen würde, dass die Oberen oben und die Unterlinge unten bleiben. In diesem eher chinesischen Modell einer Gesellschaft würde demokratische Einflussnahme auf für die Eliten angenehme Art begrenzt werden. Vielleicht erklärt sich eben auch dadurch die Ideenlosigkeit der „Eliten“, die Günther Lachmann beklagt. Zu beobachten ist auf jeden Fall, dass immer häufiger das Infragestellen alter und die Diskussion neuer Ideen von Vornherein abgewürgt wird. Gegen Ende seiner Streitschrift schreibt Günther Lachmann:

„Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie wir arbeiten und leben wollen. Doch dazu müssten wir Gestern und Heute in Frage stellen. Wir müssten zweifeln, kritisieren. Und genau das haben wir uns abgewöhnt. Wir haben so getan, als handele es sich beim Hinterfragen um ein unschönes Laster. Und seit geraumer Zeit werden diejenigen, die es dennoch nicht lassen wollen, sogar ausgegrenzt. Wer ein Europa der Nationen will, wird ebenso als Anti-Europäer diffamiert wie jener, der die demokratischen Defizite dieses Europas aufzeigt. Wer die Dominanz des Kapitals angreift, ist ein Systemfeind. Wer über andere Geldsysteme nachdenkt, gilt als Sonderling – dabei ist die Geldtheorie Teil der ökonomischen Wissenschaft. Und wer den Monetarismus in Frage stellt, ist ein Ewiggestriger. Wo jedoch der Widerspruch kritischer Geister als Illoyalität gebrandmarkt wird und zum Ausschluss führt, damit der soziale Abstieg zur unumstößlichen Gesetzmäßigkeit einer angeblichen ‚Rettungs-politik‘ umgedeutet werden kann, ist die Tür zum Kompromiss bereits geschlossen, bevor überhaupt ein Streit über das weitere Vorgehen möglich wird. (…). Wer als Demokrat keinen Streit zulässt, indem er alles für alternativlos erklärt, will den Menschen das Denken verbieten, weil er selbst nicht mehr an die Kraft der eigenen Idee glaubt, so der denn überhaupt noch eine hat.“ (VS, S. 225/226)

Statt eine offenen Diskussion über neue Ideen und Entwürfe zu fördern, wird im Gegen-teil alles getan, um Ansätze zu einer vertieften Diskussion zu verhindern, auch wenn man die Nazi-Keule herausholen muss, um politische Gegner zu diffamieren.

Anmerkungen

[1] Günther Lachmann, „Verfallssymptome – Wenn eine Gesellschaft ihren inneren Kompass verliert“, München 2014

[2] Stefan Zweig, „Die Welt von Gestern“, Köln 2013

[3] Wolfgang Streeck, „Gekaufte Zeit“, Berlin 2013

[4] a.a.O. S. 68/69

Quelle: geolitico.de vom 08.07.2014

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15 comments on “Die widerspruchslose Gesellschaft

  1. DER KAISER UND SEINE SCHERGEN

    >Wenn man oben zitierte Passagen aus Günther Lachmanns neuem Buch liest, ist man unwillkürlich an einen anderen großen Abgesang auf eine Zeit erinnert, auf Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“, dort heißt es im Kapitel „Die Welt der Sicherheit“:[2]
    „Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen öster-reichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit. Die Rechte, die er seinen Bürgern gewährte, waren verbrieft vom Parlament, der frei gewählten Vertretung des Volkes, und jede Pflicht genau begrenzt. … … … …“

    Und weiter geht das Gesülze. Darf ich höflich daran erinnern, dass in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, auch das unerträgliche Elend des Volkes eine Konstante war und dass dieser Zustand von denen da oben (der Kaiser und seine Schergen) gewollt war. Denn, warum sonst, war es möglich und nötig, dass ein Marx die Bühne betrat und u.a. seine Lehren dazu führten, dass es in der selben Zeit des ersten Weltkrieges zur russischen Oktoberrevolution kam. Die fehlgeleitete einseitig gewollte Erstarrung (Stabilität) musste, weil von ganz grossem Übel aufgebrochen werden. Auch wenn die „Revolution“ (bewusst durch die USA gesteuert, – der Kalte Krieg lässt grüssen) letztlich zerbrach und Europa dorthin gesteuert wird, wo es einst war in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg (wir sind nicht mehr weit davon entfernt), brachte es für die Allgemeinheit sehr viele Vorteile. Ohne diese Revolution hätte die Demokratisierung (z.B. nämlich ohne die 68er-Bewegung) praktisch nur schlechte Karten gehabt.

    Nochmals zurück zur hochgelobten besseren stabilen Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Man darf ganz sicher davon ausgehen, dass zumindest seit dem Bayrischen Volksaufstand von 1701 bis zur Oktoberrevolution von 1917 das Leben für die unteren Volksschichten mehr als nur beschissen war. Heute sind wir schon fast wieder so weit. Man kann fast die Gleichung aufstellen: 1914 = 2014

    Trotzdem bin ich kein Freund des Sowjet-Kommunismus. Es war schon in dessen Pionierzeit eigentlich klar, weil sich mehrere Kommunismen sich damals mit Mord und Totschlag bekämpften, konnte langfristig keine gute Sache draus werden. Das Extreme drückte sich darin aus, dass Trotzki im weit entfernten mexikanischen Exil umgebracht wurde. Die Basisidee des Kommunismus finde ich prima. Genau genommen pervertierte sich der Sowjet-Kommunismus sehr bald zu einem Parteibüchlein-Kapitalismus (das grosse Kaufhaus Gum in Moskau lässt grüssen, wo man mit Dollars bezahlen konnte). Lenin selbst erkannte diese Dekadenz früh, als er noch in der Schweiz lebte und sagte, dass die Revolution verraten sei.

    Zur Erinnerung die INTERNATIONALE:

  2. Wenn ihr weiter zuläßt daß private Banditen in Nadelstreifen euer Geld herausgeben, und ihr von Geld nicht mehr versteht als daß es golden glänzend oder Papier sein kann. Dann habt ihr keine Zukunft.

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