Deutsche Polizei weitet Einsatz von Palantir-Software aus – Verfassungsgrenzen drohen zur Farce zu werden.
Die Deutsche Welle berichtete jüngst, dass immer mehr Bundesländer auf die umstrittene Überwachungssoftware Gotham des US-Unternehmens Palantir setzen oder deren Einsatz planen.
Während Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen bereits aktiv damit arbeiten, steht Baden-Württemberg kurz vor der Einführung. Sogar der Bund – also BKA und Bundespolizei – schließt eine Beschaffung nicht aus.
Offiziell verspricht die Software, riesige Datenmengen in Sekunden zu verknüpfen und so schneller Täterprofile zu erstellen. In Bayern etwa firmiert das System als „VeRA“ und wurde laut Innenministerium seit Mai 2025 in rund hundert Fällen genutzt – darunter beim Angriff auf das israelische Konsulat in München im September 2024.
Verfassungsrechtliche Bedenken werden ignoriert
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2023 deutliche Grenzen gezogen: Eine präventive, automatisierte Datenanalyse ohne identifizierbare Gefahr ist verfassungswidrig.
Nur bei konkreten, belegbaren Bedrohungslagen darf eine solche Software überhaupt eingesetzt werden – und auch dann nur unter strengen Voraussetzungen. (Palantir gegen die Welt: Was macht Palantir eigentlich?)
Diese Vorgaben zwangen Hessen und Hamburg damals, ihre Polizeigesetze neu zu fassen. In Nordrhein-Westfalen ist aktuell eine Verfassungsbeschwerde anhängig.
Doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Während die Politik betont, man halte sich an die Karlsruher Leitplanken, weiten die Länder die Nutzung schrittweise aus.
Kritiker wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und der Chaos Computer Club (CCC) warnen, dass intransparente „Data-Mining“-Verfahren längst im Alltagsbetrieb angekommen sind – oft ohne dass Betroffene je erfahren, dass sie durchleuchtet wurden.
Black Box aus den USA – und die Frage der digitalen Souveränität
Besonders brisant: Palantir ist ein US-Unternehmen mit engen Verbindungen zu Militär und Geheimdiensten. Zwar betonen die Länder, die Daten würden in Deutschland gespeichert, doch Kritiker verweisen darauf, dass ein vollständiger Schutz vor Abfluss in die USA praktisch nicht garantiert werden kann.
Damit kollidiert der Einsatz direkt mit den Versprechen der Ampel-Koalition, digitale Souveränität auszubauen und Abhängigkeiten von ausländischen Tech-Konzernen zu reduzieren.
Vom Terrorabwehr-Instrument zum Allzweck-Werkzeug?
Ursprünglich als High-Tech-Waffe gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität angepriesen, mehren sich Berichte, dass Palantirs Systeme auch bei vergleichsweise geringen Delikten genutzt werden.
Damit droht die Zweckbindung – eine zentrale verfassungsrechtliche Anforderung – zur Makulatur zu verkommen.
Das eigentliche Risiko
Mit jedem zusätzlichen Bundesland, das auf Gotham setzt, verschiebt sich die Grenze des rechtlich und politisch Akzeptierten.
Statt die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen roten Linien zu respektieren, scheint der Trend in Richtung Normalisierung flächendeckender, automatisierter Personenrasterungen zu gehen – betrieben von einer intransparenten, proprietären US-Black-Box.
Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt oder zumindest durch radikale Transparenz- und Kontrollmechanismen gebremst wird, könnte Palantir in Deutschland binnen weniger Jahre das werden, was in den USA längst Realität ist: ein unsichtbarer, aber allgegenwärtiger Überwachungsapparat, dessen Datenmacht kaum mehr politisch kontrollierbar ist.
Bayern nutzt Palantir bereits: Die Software heißt hier „VeRA“ und gilt als abgespeckte Version der Palantir-Software. NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ liegt exklusiv eine Liste aller Anlässe vor, zu denen die bayerische Polizei „VeRA“ genutzt hat. Die Liste umfasst den Zeitraum von der Einführung des Systems im September 2024 bis zum 19. Mai dieses Jahres.
Viele Einträge deuten auf Großlagen hin: Eine Abfrage beispielsweise stammt vom 5. September 2024, der vermerkte Grund für die Gefahr lautet: „Leib, Leben oder Freiheit einer Person.“ An dem Tag ereignete sich in München der Anschlag auf das israelische Generalkonsulat, der in einem Schusswechsel zwischen einem 18-jährigen Österreicher bosnischer Abstammung und mehreren Polizisten endete.
Auch am 20. Dezember 2024 ist ein „VeRA“-Einsatz vermerkt: Es ist der Tag, an dem ein saudi-arabischer Arzt in Magdeburg mit einem Auto in eine Menschenmenge raste: Sechs Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. In „VeRA“ wurde als Gefahrenlage vermerkt: „Bestand oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes.“
Hauptsächlich bei gewöhnlicher Kriminalität eingesetzt
Insgesamt fast 100-mal warf die bayerische Polizei die Software in dem Zeitraum der Liste an. Doch bei der Mehrzahl der Palantir-Einsätze ging es nicht um große Gefahrenlagen. Weitaus häufiger, nämlich mehr als 20 Mal, ging es um andere Zwecke, etwa Straftaten im Bereich „Eigentums- und Vermögenswerte“ oder andere Straftaten.
„Das kann auch der bandenmäßige Fahrraddiebstahl sein oder ein Geldautomatensprenger“, sagt Benjamin Adjei, Grünen-Politiker aus München, der die Liste der Palantir-Einsätze als Antwort einer Kleinen Anfrage im Landtag erhalten hat. „Es ist völlig klar, dass man in einer großen Gefahrenlage auf alles zurückgreift, was man hat, natürlich auch Palantir“, sagt Adjei. Für ihn zeige die Liste allerdings, dass es häufig darum gar nicht geht: „Es wird auch für deutlich weniger gemeingefährliche Situationen genutzt, und das besonders oft.“
Wichtiges Werkzeug für Ermittler in Hessen
In Hessen wird die Palantir-Software, die dort „Hessendata“ heißt, bis zu 15.000 mal im Jahr genutzt und ist inzwischen ein Kernstück der Ermittlungsarbeit, wie die Polizei bestätigt. Allerdings hat „Hessendata“ weniger Möglichkeiten und Befugnisse für Ermittler als „VeRA“.
In Hessen werden verschiedene landeseigene Datenbanken sowie in Einzelfällen Daten aus dem Melderegister analysiert. Der Vorteil, so präsentiert es die hessische Polizei, liege darin, dass man schwere Kriminalität dieser Größenordnung ohne Datenanalyse nicht bearbeiten könne.
Es geht also weniger um die speziellen Fähigkeiten, die Palantir mitbringt, und mehr darum, dass die Datenbanken überhaupt verknüpft und abgeglichen werden können. Bodo Koch, Chief Digital Officer der hessischen Polizei, erklärt, die Software diene zur Gefahrenabwehr. Es gehe vor allem um mehr Effizienz im Alltag der Ermittler.
Weisband: Palantir „inkompatibel mit einer Demokratie“
Auch das Bundesinnenministerium will unterschiedliche Polizeidatenbanken in Deutschland miteinander verknüpfen und eine deutschlandweite Analysesoftware ermöglichen. Doch diese Pläne sind umstritten.
Die grüne Datenexpertin Marina Weisband sieht einen ersten Schritt Richtung Überwachungsstaat: „Palantir ist designt dafür, viele Datenbanken zusammenzutragen und ein einziges Profil über jeden Menschen zu erstellen“, sagt sie: „Es ist designt für Totalüberwachung. Es ist in seinem Grund inkompatibel mit einer Demokratie.“
Software hilft bei Razzien in den USA
Ein Grund für die Sorge sind die aktuellen Entwicklungen in den USA. Denn die Razzien gegen Migranten und Massenabschiebungen werden durch Palantir-Software mitermöglicht. Die KI-Software überwacht Migranten in Echtzeit, um sie aufzuspüren und abschieben zu können.
„Palantir aggregiert Daten aus verschiedenen Quellen, aus staatlichen Datenbanken, wahrscheinlich auch aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Social Media, um dann den Aufenthaltsort sogenannter illegaler Immigranten aufzuspüren“, sagt Tech-Investor Philipp Klöckner. „Es wird verwendet, um die Menschenjagd auf Immigranten mit Daten zu steuern und effizienter zu machen und diese große Deportationskampagne der Trump-Regierung mit Daten zu unterstützen.“
Eine Software, die vor Verbrechen schützen sollte, verwandelt sich so für Kritiker in ein Werkzeug zur autoritären Kontrolle. Wie konnte es so weit kommen?
Ex-Mitarbeiter: Es sollte ein Werkzeug für das Gute sein
Panorama hat mit ehemaligen Palantir-Mitarbeitern gesprochen. Einige von ihnen sind heute entsetzt, was aus ihrer Arbeit geworden ist. Etwa Miles, der unerkannt bleiben will. Er habe gedacht, er baue ein Werkzeug für eine demokratische Gesellschaft – gegen Terroristen, für das Gute: „Unsere Aufgabe war es, Menschenleben zu schützen und dieses mächtige Werkzeug zu entwickeln. Für das Gute“, sagt Miles.
„Wir hatten nicht vor, es an Menschen zu verkaufen, die es dazu benutzen würden, Journalistinnen oder Regimekritikerinnen zu verfolgen oder Menschenrechtsverletzungen zu begehen oder irgendetwas in der Art“. Doch mit Trumps Wahl habe sich das geändert.
SPD-Länder gegen bundesweite Einführung
In Deutschland steht eine Einigung über einen bundesweiten Einsatz der Software aus. Vor allem in einigen SPD-geführten Innenministerien ist die Distanz zu Palantir zuletzt größer geworden. Sie verweisen auf die veränderte geopolitische Situation.
Der Konzern Palantir wurde von dem umstrittenen Tech-Unternehmer Peter Thiel gegründet, der häufig durch Verschwörungsideen und seine Abneigung gegen Demokratie als Staatsform auffiel und in der neuen Trump-Regierung zu neuem Einfluss gelangt ist.
Und so fanden die SPD-regierten Bundesländer in einem Beschlussvorschlag für die vergangene Woche tagende Innenministerkonferenz dann auch scharfe Worte: Im Zusammenhang mit Palantir befürchteten sie Einflussmöglichkeiten anderer Staaten oder das Risiko von „Datenausleitung“ – offenbar halten es einige SPD-Länder für möglich, dass Palantir Daten deutscher Bürger an die USA übermittelt. Man sei daher interessiert an einer „europäischen“ Lösung.
Am Ende einigten sich die Innenminister aller Bundesländer für die Zukunft darauf, „die digitale Souveränität auch für IT-Produkte der automatisierten Datenanalyse anzustreben“. Das bedeutet, dass eine europäische Software so schnell es geht genutzt werden soll, auch wenn es offenbar noch keine gibt, die sofort in Deutschland einsatzbereit wäre.
Palantir weist Vorwürfe zurück
Sowohl die Bundesländer, die Palantir nutzen, – neben Bayern und Hessen ist dies Nordrhein-Westfalen – als auch Palantir selbst versichern, dass es zu keinem Datenabfluss in die USA kommen könne.
Palantir betonte auf Anfrage, die Firma sammle oder verkaufe keine Daten von Bürgern. Man überwache mit seinen Produkten auch niemanden und habe sich als Unternehmen entschlossen, keine Tools zum Vorhersagen von Straftaten (predictive policing) zu entwickeln oder anzubieten.
Bezüglich einer etwaigen politischen Nähe zur Trump-Regierung antwortet Palantir, man konzentriere sich darauf, langfristigen Interessen der Gesellschaft zu dienen, unabhängig von politischen Veränderungen.
Quellen: PublicDomain/uncutnews.ch am 04.08.2025
