Plutarch: Wie man von seinen Feinden Nutzen ziehen kann

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Analogie der Vergangenheit und Gegenwart.

„Erkenne dich selbst. Damit man nicht, während man sagt, was man will, hören muss, was man nicht will.“

Plutarch (45 n. Chr. – 120/125 n. Chr.) war ein griechischer Schriftsteller.

Er verfasste zahlreiche Schriften, die seine umfassende literarische und philosophische Bildung und Gelehrsamkeit zeigen.

Er schilderte bekannte historische Persönlichkeiten, in denen er charakterliche Vorbilder – teils auch abschreckender Art – sah. Durch die Vergleiche zwischen Griechen und Römern versuchte Plutarch das Gemeinsame und Allgemeingültige herauszuarbeiten.

Plutarchs Parallelbiographien bilden einen Höhepunkt der antiken Biographik. Als Philosoph bekannte er sich zur Tradition des Platonismus.

Der Text.

(1) Ich sehe, Cornelius Pulcher, dass du dich für eine sehr milde Staatsverwaltung entschieden hast, bei der du dem Staat sehr nützlich sein und dich allen, welche sich an dich wenden, freundlich erweisen kannst. Man findet nun zwar ein Land, das von wilden Tieren frei ist, aber eine Staatsverwaltung, die weder Neid noch Eifersucht noch Streit veranlasst hat, welche Eigenschaften doch wohl am ehesten Feindschaft erregen können, ist bis jetzt noch nicht gefunden worden, sondern man wird, wenn auch durch nichts anderes als durch die Freundschaft selbst veranlasst, in Feindschaft verwickelt.

In diesem Sinn richtete der Weise Chilon an einen, der keinen Feind zu haben ver-sicherte, die Frage, ob er auch keinen Freund habe; darum sollte nach meinen Ermessen ein Staatsmann den Gesichtspunkt der Feindschaft wohl in Betracht ziehen, besonders aber auf Xenophons Wort aufmerksam sein, dass ein verständiger Mann auch aus seinen Feinden Nutzen zu ziehen wisse. Was ich nun über diesen Gegenstand neulich vorge-tragen habe, sende ich Dir schriftlich fast in denselben Formulierungen zu, und soweit es möglich war, unter Auslassung all dessen, was in den Vorschriften für den Staatsmann bemerkt wurde, weil ich sehe, dass du jene Schrift öfters in die Hand nimmst.

(2) In der Vorzeit war man zufrieden, von den Geschöpfen, die nicht unsere Gattung sind, den wilden Tieren, keinen Schaden zu erleiden, und dies bezweckten die Kämpfe mit diesen Tieren. Später lernte man dann dieselben zu gebrauchen und Nutzen aus ihnen zu ziehen, indem man sich von ihrem Fleisch nährt, mit ihren Haaren bekleidet, mit Galle und Molken heilt, und mit ihren Fellen bewaffnet, sodass man sogar zu befürchten hat, dass, wenn es dem Menschen einst an Tieren fehle, sein eigenes Leben tierisch, bedürftig und verwildert werden könnte. Weil nun die meisten Menschen zufrieden sind, wenn sie von ihren Feinden keinen Schaden erleiden, die Verständigen aber, wie Xenophon sagt, von ihren Feinden sogar Nutzen zu ziehen wissen, darf man dies nicht verwerfen, sondern muss Mittel und Wege suchen, durch die das Gute gewonnen wird, da es unmöglich ist, ohne Feinde zu leben.

Nicht jeden Baum kann der Landmann zahm machen, ebenso wie auch der Jäger nicht jedes Wild bezähmen kann. Sie versuchen daher zu anderer Verwendung, der eine aus unfruchtbaren Bäumen, der andere aus wilden Tieren Nutzen zu gewinnen. Das Meerwasser ist schlecht und nicht zum Trinken. Aber es nährt Fische und geleitet Reisende, wie auf einem Wagen, überall hin. Als der Satyr beim Anblick des Feuers dasselbe küssen und umarmen wollte, sprach Prometheus:

Da würdest du wohl am Barte leiden, Bock, es brennt den,
der es anrührt.

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Aber es gewährt Licht und Wärme und ist für die, welche es zu gebrauchen wissen, das Werkzeug zu jeglicher Kunst. Man muss daher achtgeben, ob man dem Feind, wenn er auch schädlich ist und sich schwer umgehen lässt, auf irgendeine Weise beikommen und ihn zum eigenen Vorteil gebrauchen kann. Es gibt viele Dinge, welche dem, den sie an-gehen, unangenehm, ärgerlich und zuwider sind. Indessen sieht man auch, wie manche Menschen Krankheiten ihres Körpers benutzt haben, um sich von den Geschäften zurück-zuziehen, viele aber auch durch die ihnen zugefallenen Arbeiten gestärkt und geübt wurden, manche sogar den Verlust des Vaterlandes oder die Einflüsse ihres Vermögens als ein Mittel zu philosophischen Studien ansahen, wie Diogenes und Krates. Als Zeno erfuhr, dass sein Handelsschiff gescheitert war, rief er aus: »Du tust wohl daran, o Schicksal, dass du mich zum Philosophenmantel treibst.«

Wie solche Tiere, die einen starken Magen haben und völlig gesund sind, Schlangen und Skorpione verzehren und verdauen, andere sich sogar von Steinen und Schalen ernähren, die sich unter der Stärke und Wärme ihres Atems zu Essbarem verwandeln, sieche und kranke Menschen hingegen, selbst wenn sie Brot und Wein nehmen, Ekel empfinden, so zerstören törichte Menschen selbst die Freundschaft, während die Verständigen sogar die Feindschaft gut zu nutzen wissen.

(3) Zuvörderst glaube ich, dass das, was bei der Feindschaft am schädlichsten ist, für den Aufmerksamen höchst nützlich werden kann. Worin besteht dies nun? Der stets wach-same Feind umlauert alle deine Handlungen, er sucht überall eine Gelegenheit, umlauert deinen Lebenswandel. Er sieht nicht nur wie ein Lynkeus durch die Eiche oder durch Steine und Scherben, sondern auch durch einen Freund, durch einen Diener und durch jeden Bekannten. Er späht, soweit es möglich ist, alles aus, was wir unternehmen. Er durchgräbt und durchforscht unsere Vorhaben. Wir erfahren oft aus Zaudern und Nach-lässigkeit nicht, wenn unser Freund krank oder gestorben ist, während wir uns bei unseren Feinden uns beinahe um ihre Träume kümmern. Und die Freunde selbst wissen oft weniger von unserer Krankheit, unseren Schulden, unserer Uneinigkeit mit der Frau, als der Feind. Dieser hält sich hauptsächlich an unsere Fehler und spürt ihnen nach, und wie die Geier dem Geruch des Aases nachgehen, aber für reine und gesunde Körper kein Empfinden haben, so zieht auch das, was an unserem Leben krankhaft, schlecht und leidend ist, den Feind an. Er eilt voll Hass demselben zu, packt es an und zerfleischt es.

Ist dies nun nützlich? Allerdings. Dazu nämlich, dass wir vorsichtig in unserem Leben sind, dass wir auf uns achten, nicht unüberlegt und unbesonnen in Handlungen wie in Worten sind, sondern unseren Lebenswandel wie bei einer strengen Diät stets untadel-haft erhalten. Denn eine solche Vorsicht, welche die Leidenschaften im Zaum hält und die Vernunft ihre Pflicht beachten lässt, erweckt ein eifriges Bestreben und einen festen Vorsatz, ein anständiges, tadelloses Leben zu führen.

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Wie diejenigen Städte, welche durch Kriege mit Nachbarn und durch anhaltende Feldzüge zur Besonnenheit gekommen sind, eine gute Gesetzgebung und eine vernünftige Staats-verwaltung lieben, so werden auch die, welche durch mancherlei Feindschaft genötigt worden sind, ein nüchternes Leben zu führen, sich vor Leichtsinn und Übermut zu hüten und in ihren Handlungen Nützlichkeit zu sehen, unvermerkt durch die Gewohnheit von Fehlern frei und kommen zu einem gesitteten Lebenswandel, wenn dies der Unterricht nur einigermaßen unterstützt. Denn Homers Wort:

Traun, wohl freuen wird sich Priamos dessen und Priamos Söhne

Kann den, der sich stets daran erinnert, aufmerksam machen und von dem abhalten, worüber ein Feind sich freuen und ihn verlachen würde. Wir sehen auch die Schauspieler für sich alleine auf dem Theater oft nachlässig, ohne Eifer und Anstrengung spielen. Wenn sie sich aber mit anderen im Wettstreit befinden, geben sie sich samt ihren Instrumenten mehr Mühe, stimmen die Saiten und spielen mit größter Sorgfalt und Ordnung. Wer nun weiß, dass er in seinem Feind einen Gegner seines Lebens und Ruhmes hat, achtet mehr auf sich, überlegt seine Handlungen und ordnet sein Leben.

Denn auch dies ist ein eigenes Zeichen des Lasters, dass man sich vor seinen Feinden mehr als vor seinen Freunden seiner Vergehen schämt. Daher erwiderte Scipio Nasica einigen, welche durch die Zerstörung Karthagos und die Unterwerfung der Achaier den römischen Staat für gesichert hielten: »Gerade jetzt sind wir in einer gefährlichen Lage, da wir uns niemanden übrig gelassen, vor dem wir uns zu fürchten oder gar zu schämen haben.«

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(4) Damit ist noch des Diogenes Ausspruch zu verbinden, der sehr philosophisch und politisch ist: »Wie soll ich mich am Feinde rächen? Dadurch, dass ich selbst ein guter und rechtschaffener Mann werde.« Man ärgert sich, wenn man jemanden die Pferde eines Feindes rühmen oder dessen Hunde loben hört. Man seufzt sogar, wenn man dessen Feld gut bestellt oder dessen Garten blühen sieht. Und was wird dann erst geschehen, wenn du dich als gerechter Mann erweist, als ein offener, rechtschaffener, der in seinen Reden wohlberüchtigt und in seinen Handlungen rein ist, unsträflich in seinem Lebenswandel,

erntend Furche vom tiefen Saatfeld seiner Brust,
woraus hervorspießt weisen Rats Besonnenheit.

Die Besiegten, sagt Pindar, sind in Sprachlosigkeit gefesselt, doch nicht immer und auch nicht alle, sondern nur die, welche sich von ihren Feinden an Sorgsamkeit, Rechtschaffen-heit, edler Gesinnung, Menschenliebe und Wohltätigkeit besiegt sehen. Dies lähmt, wie Demosthenes sagt, die Zunge, verstopft den Mund, bringt zum Ersticken und zum Schweigen.

Sei du denn besser als die Schlimmen, da du kannst.

Wenn du aber deinen Feind ärgern willst, so schimpfe ihn nicht einen Wollüstling, einen Weichling oder einen ausschweifenden, schmutzigen oder gemeinen Menschen, sondern sei selbst ein Mann, handle besonnen, rede die Wahrheit und behandle die, welche mit dir umgehen, liebevoll und gerecht. Wirst du aber zum Schimpfen verleitet, so halte dich so fern wie möglich von dem, was du anderen vorwirfst, gehe in dich selbst und blicke auf deine Fehler, damit nicht irgendein Laster auch dir das Wort des tragischen Dichters zurufe:

Ein Arzt für andere, strotzt er doch vor Geschwüren selbst.

Nennt dich jemand ungebildet, so zeige umso mehr Lernbegierde und Fleiß; nennt man dich feige, so wecke in dir umso mehr männlichen Mut; oder geil und ausschweifend, so tilge aus deiner Seele jede Spur von Wollust, die darin etwa noch verborgen ist. Denn nichts ist schimpflicher, nichts kränkender als eine Schmach, die auf den Schmähenden zurückfällt. So wie der Widerschein des Lichts schwache Augen mehr angreift als das Licht selbst, so verhält es sich auch mit dem Tadel, der von der Wahrheit auf den Tadelnden selbst zurückfällt. Denn wie der Nordostwind die Wolken, so zieht auch ein schlechtes Leben die Schmähungen nach sich.

(5) Sooft Plato mit Leuten, die sich unanständig betrugen, beisammen war, pflegte er beim Weggehen zu sich zu sagen: »Bin ich nicht etwa auch so einer?« Wer, indem er eines andern Lebenswandel tadelt, sogleich seinen eigenen betrachtet und bessert, dadurch dass er ihn auf die andere Seite wendet und kehrt, der wird aus dem Tadel, der sonst unnütz und eitel zu sein scheint und es auch ist, Nutzen gewinnen. Die meisten lachen, wenn einer, der kahlköpfig oder ausgewachsen ist, die anderen darum schimpft und schmäht. Indessen ist es überhaupt lächerlich zu schimpfen und zu spotten, wenn man auf Gegenvorwürfe gefasst sein muss.

So sagte Leo von Byzanz, als ihn ein Verwachsener wegen der Schwäche seiner Augen verspottete: »Du hältst mir ein menschliches Leid vor, während du auf dem Rücken die Nemesis trägst.« Schimpfe deshalb niemanden einen Ehebrecher, wenn du selbst ein Knabenschänder bist, nenne keinen ausschweifend, wenn du selbst ein gemeiner Mensch bist. Alkmaion warf dem Adrast vor:

Du bist der Bruder einer Gattenmörderin.

Was aber gab ihm dieser zur Antwort? Nicht die Schandtat eines anderen, sondern die eigene warf er ihm vor:

Du aber mordetest die, die dir das Leben gab.

Domitius sagte zu Crassus: »Hast du nicht über den Tod der Muräne, die du im Fisch-behälter nährtest, geweint?« – »Du aber«, entgegnete dieser, »hast nicht geweint, als du deine drei Frauen begrubst?« Wer zurechtweisen will, bedarf dazu keiner besonderen Anlagen oder einer hellen Stimme oder etwas Dreistigkeit. Hingegen muss er unbe-scholten und tadellos sein. Denn keinem schärft die Gottheit so wie dem, der seinen Nächsten tadeln will, den Spruch ein: Erkenne dich selbst. Damit man nicht, während man sagt, was man will, hören muss, was man nicht will. Von einem solchen sagt Sophokles:

Ausgeschüttet eitlen Zungenschwall,
willst du nicht hören, was du doch gerne selbst gesagt.

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(6) Insofern ist es nun nützlich und ersprießlich, den Feind zu schmähen. Nicht wenig nützt es aber, wenn man selbst von seinen Feinden Schimpf und Hohn erdulden muss. Richtig bemerkt daher Antisthenes: »Wer dem Verderben entgehen will, muss entweder echte Freunde oder heftige Feinde besitzen. Die einen halten durch Ermahnungen, die anderen durch Schmähungen von Verfehlungen ab.« Weil aber in der gegenwärtigen Zeit die Freundschaft zum freimütigen Tadel nur eine leise Stimme hat, hingegen für die Schmeichelei geschwätzig und für eine Zurechtweisung stumm ist, so muss man die Wahrheit von den Feinden hören.

Wie Telephos, als er den eigenen Arzt nicht fand, durch feindlichen Speer seine Wunde heilen ließ, so müssen auch die, welche der Zurechtweisung des Freundes entbehren, die Rede eines Feindes, der sie hasst, ertragen, wenn er ihre Lasterhaftigkeit tadelt und straft, und auf die Sache sehen, nicht aber auf die Absicht des Lästerers. Denn wie der, welcher den Thessalier Prometheus töten wollte, mit dem Schwert ein Geschwür traf und es so abhieb, dass der Mann gerettet und von dem so aufgebrochenen Geschwür befreit wurde, so hat schon oft eine im Zorn oder in der Leidenschaft ausgestoßene Beleidigung oder Schmähung ein bisher unbekanntes oder vernachlässigtes Übel der Seele geheilt.

Indessen die meisten, wenn sie geschmäht werden, nicht darauf sehen, ob sie das, was ihnen vorgeworfen wird, wirklich an sich haben, sondern nur darauf, ob sie etwas Ähnliches am Ankläger finden, und nicht die Lästerungen abwischen, wie die Athleten den Staub, sondern einander in diesem Handgemenge bewerfen, beflecken und verun-reinigen. Wer von seinem Feind geschmäht wird, soll den Fehler, der an ihm ist, weit eher wegschaffen als den Flecken an seinem Kleid, der ihm gezeigt worden ist. Ist der Tadel unbegründet, so soll man dessen ungeachtet nach der Ursache forschen, von welcher die Lästerung ausgegangen ist, man soll sich hüten und in Acht nehmen, ohne eigenes Wissen etwas zu tun, was dem Vorwurf nahe kommt oder gleich ist.

So brachten den argivischen König Lakydes die Beschaffenheit seines Haares und sein Gang in den Ruf einer üppigen Weichlichkeit, ebenso den Pompeius, der von allem femininen und ausschweifenden Wesen weit entfernt war, der Umstand, dass er sich mit einem Finger am Kopf kratzte. Crassus kam in den Verdacht eines unerlaubten Umgangs mit einer der heiligen Jungfrauen (Vestalinnen), weil er von ihr ein schönes Stück Land kaufen wollte und deshalb oft allein mit ihr freundlich redete. Dagegen kam Postumia durch ihr freieres Lachen und ihre frecheren Gespräche mit Männern in einen üblen Ruf, sodass sie der Unzucht wegen angeklagt wurde. Sie wurde nun zwar von dieser Schuld rein befunden, aber der Oberpriester fügte die Ermahnung bei, dass sie sich in ihrem Reden künftig nicht unanständiger betragen solle als in ihrem Wandel. So zog Pausanias den Themistokles, der nichts Unrechtes begangen hatte, mit in den Verdacht des Verrats, weil er sein Freund war und beständig Briefe und Boten an ihn schickte.

(7) Ist also ein ungerechtfertigter Vorwurf gemacht, so darf man ihn nicht verachten oder vernachlässigen, weil er falsch ist, sondern man muss untersuchen, was in unseren Reden und Handlungen oder in unseren Beschäftigungen und in unserem Umgang zu der be-treffenden Verleumdung Anlass gegeben hat. Davor muss man sich dann hüten und es meiden. Wenn manche durch das Unglück, in welches sie geraten sind, über den Nutzen belehrt werden, so wie Merope es ausdrückt:

Das Schicksal nahm mein Teuerstes zum Lohn von mir
und gab mir Weisheit. 

Warum wollen wir nicht den Feind zum Lehrer nehmen, von dem wir unentgeltlich Nutzen ziehen und etwas lernen können, was uns unbekannt ist? Der Feind bemerkt vieles besser als der Freund. Denn die Liebe ist nach Platos Ausspruch blind für den geliebten Gegenstand; im Hass aber liegt Neugier zugleich und Geschwätzigkeit. Hiero wurde von einem seiner Feinde wegen des üblen Geruchs aus seinem Mund getadelt. Als er nach Hause kam zu seiner Frau, sprach er: »Wie hast nicht einmal du mir dies gesagt?« Diese aber, eine tugendhafte Frau ohne Falschheit, antwortete: »Ich glaubte, dass alle Männer so riechen.« Auf diese Weise kann man sinnliche und körperliche Dinge und solche, die jedermann in die Augen fallen, eher von seinen Feinden als von seinen Freunden und Bekannten erfahren.

(8) Außerdem ist es nicht möglich, die Beherrschung der Zunge, die doch kein geringer Teil der Tugend ist, stets der Vernunft untertan und folgsam zu halten, wenn man nicht durch Üben, Nachdenken und Anstrengung die schlimmsten Leidenschaften, darunter den Zorn, überwältigt hat. Denn dass ein Laut gegen den eigenen Willen entschlüpft oder

welche Rede, mein Kind, ist dir aus den Lippen entflohen;

oder auch einige Worte wie von selbst uns entgegen, dies findet sich meistens bei unge-übten Charakteren, die vor Schwäche ihres Charakters und aus Mangel an innerer Kraft bei einer freien Lebensweise wanken und unstet sind. Der Rede, der leichtesten Sache, folgt, nach dem göttlichen Plato, die härteste Strafe bei den Göttern und bei den Menschen. Das Schweigen aber bleibt in allen Fällen ungestraft und ist nicht nur, wie Hippokrates sagt, gegen den Durst gut, sondern es zeugt bei Schmähungen der Feinde von Würde und beweist einen sokratischen oder vielmehr einen herkulischen Charakter. Denn von Herkules heißt es:

Nicht wie Mückengesumme rührt ihn die gehässige Rede.

Ebenso anständig und rühmlich ist es, bei den Schmähungen eines Feindes ruhig zu bleiben und an den rauschenden Klippen der Schmähung gleichsam vorbeizuschwimmen. Doch ist die Übung darin noch wesentlicher. Hat man sich nämlich daran gewöhnt, bei den Schmähworten eines Feindes gelassen zu bleiben, so wird man sehr leicht den Angriff einer lästernden Frau ertragen und die etwas herbe Stimme eines Bruders ohne Unruhe aushalten. Man wird beim Schlagen oder Werfen des Vaters wie der Mutter keinen Groll zeigen.

Sokrates suchte sich mit Xanthippe, einer leidenschaftlichen und bösen Frau, zu ver-tragen, weil er dann mit anderen leicht leben zu können glaubte, wenn er sich daran gewöhnt hätte, es mit ihr auszuhalten. Jedoch ist es weit besser, sich am Spott, an der Schmähung, am Zorn und der Unverschämtheit der Feinde und fremder Leute zu üben und sich dahin zu gewöhnen, dass man bei solchen Schmähungen ruhig und gelassen bleiben kann.

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(9) Auf diese Weise nun kann man bei der Feindschaft Milde und Sanftmut zeigen, ja selbst Offenheit, Edelmut und Rechtschaffenheit noch mehr als bei der Freundschaft. Denn dem Freund Gutes zu tun, ist nicht so rühmlich, wie es schimpflich ist, dies im Notfall bei demselben zu unterlassen. Sich aber an seinem Feind nicht zu rächen, wenn er Gelegenheit dazu gibt, zeigt eine edle Seele. Wer aber einen Menschen, welcher mit seinem Feind im Unglück Mitleid hat, ihn in der Not unterstützt, sich seiner Kinder, seines Vermögens, wenn es gefährdet ist, eifrig und bereitwillig annimmt, nicht seiner Herzensgüte wegen liebt und seine Gerechtigkeit lobt,

jenem wurde das schwarze Herz aus Demant geschmiedet, meine ich, oder aus Eisen.

Als Caesar befohlen hatte, die umgeworfenen Bildsäulen des Pompeius wieder aufzu-richten, sprach Cicero zu ihm: »Du hast die Bildsäulen des Pompeius wieder aufgerichtet und dadurch die deinen gefestigt.« Daher darf man bei einem Feind weder mit Lob noch mit Ehre sparen, der es mit Recht verdient. Denn dies bringt dem Lobenden ein noch größeres Lob und bewirkt, dass man ihm, wenn er ein andermal tadelt, glaubt, in der Überzeugung, dass er nicht den Mann hasse, sondern die Handlung missbillige. Das Beste und Nützlichste aber ist dabei, dass der, welcher sich daran gewöhnt hat, die Feinde zu loben, sich nicht über ihr Glück zu ärgern und sie nicht zu beneiden, dadurch auch von allem Neid über das Glück seiner Freunde und über das Wohlergehen seiner Angehörigen frei bleibt.

Und in der Tat, welche andere Übung kann der Seele einen größeren Nutzen bringen oder sie mehr zum Guten bestimmen, als die, welche Eifersucht und Neid entfernt? Wie im Krieg manches zwar Notwendige, sonst aber Schlechte zur Gewohnheit wird und das Ansehen eines Gesetzes gewinnt und darum nicht leicht von denen, die dadurch leiden, abgeschafft werden kann, so bringt die Feindschaft mit dem Hass zugleich Neid, Eifer-sucht und Schadenfreude und lässt die Erinnerung daran im Gemüt zurück. Kommen dazu noch Schlauheit, Betrug und List, die gegenüber einem Feind weder für etwas Schlechtes noch Ungerechtes gehalten werden, so bleiben sie und sind nicht leicht zu entfernen.

Aus Gewohnheit gebrauchen wir dasselbe auch gegen Freunde, wenn wir nicht bei den Feinden gelernt haben, uns davor zu hüten. Wenn daher Pythagoras darin Recht hatte, dass er uns bei den unvernünftigen Tieren an die Enthaltsamkeit von Grausamkeit und Habsucht gewöhnen wollte, wenn er die Vogelsteller um ihren Fang bat oder einen Wurf Fische kaufte und sie dann freiließ, auch die Tötung jedes zahmen Tieres verbot, so ist es doch gewiss viel rühmlicher, beim Streit und Zank mit Menschen als ein edelmütiger, rechtlicher und wahrheitsliebender Feind schädliche, unedle und boshafte Leidenschaften zu unterdrücken, damit man im Umgang mit den Freunden durchaus gelassen bleibe und sich des Bösen enthalte.

Scaurus war des Domitius’ Feind und Ankläger. Vor dem Gerichtstag kam ein Sklave des Domitius zu ihm, um ihm ein Geheimnis zu entdecken. Aber Scaurus ließ ihn nicht reden, sondern den Menschen ergreifen und zu seinem Herrn zurückbringen. Als Cato gegen Murena eine Anklage wegen Volksbestechung erhob und die Beweise dazu sammelte, folgten ihm der Sitte nach Leute, die auf alles, was vorfiel, achthatten. Diese fragten ihn oftmals, ob er heute Beweise sammeln oder etwas hinsichtlich der Anklage vornehmen wolle. Verneinte er dies, so glaubten sie ihm und gingen nach Hause. Dies gibt freilich den besten Beweis der guten Meinung, die sie von Cato hatten. Aber noch besser und am rühmlichsten ist es, wenn wir, gewöhnt auch unsere Feinde gerecht zu behandeln, dann nie gegen unsere Freunde und Bekannten ungerecht oder arglistig handeln.

(10) Weil nun jede Schopflerche nach Simonides einen Schopf haben muss, und weil überhaupt die Natur des Menschen Streit, Eifersucht und Neid, nach Pindars Ausspruch die Gefährten eitler Menschen, erregt, so wird es von keinem geringen Nutzen sein, wenn man versucht, sich bei dem Feind von diesen Leidenschaften zu reinigen und sie wie Kanäle soweit wie möglich von seinen Gefährten und Angehörigen wegleitet. Das sah auch, wie es scheint, der Staatsmann Onomadesimos wohl ein. Er gehörte zu Chios bei einem Aufruhr zur siegreichen Partei und gab seinen Gefährten den Rat, nicht alle Gegner zu vertreiben, sondern einige übrig zu lassen, damit, wie er sich ausdrückte, wir nicht anfangen, mit unseren Freunden uneins zu werden, wenn wir von allen Feinden ganz und gar befreit sind.

Daher werden wir auch bei solchen Leidenschaften, wenn sie gleichsam vorher bei den Feinden ausgetobt sind, unseren Freunden weniger lästig fallen. Denn es soll nach Hesiod weder der Töpfer auf den Töpfer, noch der Sänger auf den Sänger neidisch sein. Man soll weder auf den Nachbarn eifersüchtig sein, noch auf den Vetter oder Bruder, wenn er nach Reichtum strebt und in seinen Unternehmungen erfolgreich ist. Wenn es aber kein anderes Mittel gibt, sich von Streit, Neid und Zank frei zu machen, so gewöhne man sich daran, über des Feindes Glück unwillig zu werden, man sporne und reize die eigene Streitsucht und schärfe sie an jenem. Wenn ein geschickter Gärtner Rosen und Veilchen wohlriechender zu machen glaubt, wenn er Knoblauch und Zwiebeln daneben pflanzt, indem sich dann auf diese alle herben und übel riechenden Nahrungssäfte ziehen, so wird auch der Feind, der unseren Neid und unsere Bosheit aufnimmt und pflegt, uns gegen Freunde, die im Glück sind, wohlwollender und liebreicher machen.

Deshalb muss man auch mit jenen im Ruhm, im Ansehen und im gerechten Erwerb wett-eifern. Man soll nicht bloß unwillig werden, wenn sie uns etwas darin voraus haben, und sich Mühe geben, sie darin mit Sorgfalt, Anstrengung, Besonnenheit und Aufmerksamkeit auf sich selbst zu übertreffen, gleichwie Themistokles sagte, der Sieg des Miltiades zu Marathon lasse ihn nicht schlafen. Denn derjenige, der seinen Feind in Ämtern, in Prozessangelegenheiten, bei der Staatsverwaltung oder unter Freunden und Vornehmen für glücklicher hält als sich, verfällt, statt durch die Tat ihm nachzueifern, in Neid und Unwillen und bleibt in seinem Neid träge und untätig.

Wer sich aber nicht durch Hass blenden lässt, sondern Lebensweise, Charakter, Reden und Handlungen [des Feindes] unparteiisch betrachtet, der wird gewahr werden, dass das meiste von dem, was er beneidet, vom Besitzer durch Fleiß, Vorsicht und gute Hand-lungen erworben worden ist, und nach diesen Zielen hin wird er seine Ehrliebe und sein Verlangen nach Ruhm üben, Trägheit und Schlaffheit aber gänzlich entfernen.

(11) Wenn aber unsere Feinde durch Schmeichelei, Tücke, Bestechung und Verführung zu einem schimpflichen und entehrenden Ansehen an Höfen oder in Republiken gelangt sind, so wird uns dies keine Unruhe, sondern eher Freude verursachen, indem wir unsere Freiheit, unseren reinen und unbescholtenen Lebenswandel dagegenstellen. Denn alles Geld über und unter der Erde kommt nach Platos Ausdruck der Tugend nicht gleich. Auch soll man stets an Solons Worte denken:

Und doch werden wir nie trachten, ihren Besitz gegen unsere Tugend zu tauschen.

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Dann werden wir die anderen nicht um das mit dem Geschrei [des satten Volkes] erfüllte Theater oder um die Ehrenstellen und Ehrenplätze bei Eunuchen, Kebsweibern und königlichen Satrapen beneiden.

Denn nichts kann bewundernswert und edel sein, was aus dem Schändlichen entsteht. Die Liebe zum geliebten Gegenstand ist, wie Plato sagt, blind, und die Feinde, wenn sie schlecht handeln, geben uns eher Gelegenheit, es zu bemerken.

So darf denn weder die Freude über ihr Vergehen, noch der Schmerz über ihre Ruhmestaten unwirksam sein, sondern beides soll uns erinnern, dass wir vor dem einen uns hüten und dadurch besser werden als sie, das andere aber nachahmen und ihnen darin nicht nachstehen.

Vitam impendere vero – Sein Leben für die Wahrheit geben

Jean-Jacques Rousseau

Quellen: PRAVDA-TV/David Rooney/Wikipedia/eleboo.e-bookshelf.de/Plutarch vom 19.06.2013

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