Narkolepsie bei Kindern: Schweinegrippe-Impfstoff fördert offenbar Schlafstörung

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Narkolepsie ist eine eher seltene Krankheit. In Deutschland sind Schätzungen zufolge 40.000 bis 50.000 Menschen betroffen. Sie plagt die meiste Zeit eine bleierne Müdigkeit, oft schlafen sie ganz plötzlich ein. Bei einem Großteil der Betroffenen kommt noch die sogenannte Kataplexie dazu – die Muskeln erschlaffen bei stärkeren Gefühlsregungen, positiven wie negativen.

Oft tritt die Krankheit im Alter von 12 bis 25 Jahren erstmals auf. Finnische Mediziner waren deshalb alarmiert, als sie von Ende 2009 an plötzlich mehrere Kinder, darunter auch jüngere, wegen des Leidens behandeln mussten.

In zwei Studien im Wissenschaftsmagazin „Plos one“ berichten Forscher von einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix und der bei Kindern beobachteten Narkolepsie. Hanna Nohynek vom National Institute of Health and Wellfare in Helsinki kommt zum Schluss, das Risiko durch die Schweinegrippe-Impfung an Narkolepsie zu erkranken, liegt für Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 19 Jahren bei 1 zu 16.000. Bei Erwachsenen stieg die Zahl der Narkolepsiefälle im selbem Zeitraum nicht an – für sie gab es demnach kein erhöhtes Risiko. Bei anderen Impfstoffen wurde der Zusammenhang nicht beobachtet.

Möglicherweise hätten weitere Faktoren dazu beigetragen, dass die Krankheit häufiger auftrat, schreibt die Gruppe um Markku Partinen vom finnischen Narkolepsie-Forschungszentrum. Doch auch dieses Forscherteam hält es für sehr wahrscheinlich, dass Pandemrix einen entscheidenden Einfluss hatte.

Die Finnen hatten den Vorteil, dass sie die Daten aller finnischen Kinder und Jugendlichen über ein nationales Register auswerten und so ermitteln konnten, wie oft Ärzte in den vergangenen Jahren Narkolepsie diagnostizierten. Die Zahlen sehen so aus:

  • Zwischen 2002 und 2009 diagnostizierten Mediziner jährlich 0,31 Fälle pro 100.000 Kindern und Jugendlichen unter 17 Jahren.
  • 2010 wurden 54 Narkolepsie-Fälle bei Kindern und Jugendlichen unter 17 Jahren dokumentiert, das entspricht 5,3 Fällen pro 100.000. 50 der 54 Kinder Betroffenen waren zuvor mit Pandemrix geimpft worden.
  • Bei Erwachsenen (20 Jahre und älter) gab es 0,87 Fälle pro 100.000 Einwohner im Jahr 2010, wobei die Zahl sich nicht wesentlich von denen der Vorjahre unterschied.
  • Bei mit Pandemrix-geimpften Kindern und Jugendlichen (Alter: 4 bis 19 Jahre) lag das Narkolepsie-Risiko bei 9 von 100.000 innerhalb eines Jahres, bei den nicht geimpften betrug es 0,7 pro 100.000. Rund 75 Prozent dieser Altergruppe hatten die Impfung erhalten.

Erst im August 2010 erschienen Medienberichte, in denen ein möglicher Zusammenhang dieses speziellen Impfstoffs und Narkolepsie erwähnt wurden. Die Mehrzahl der Betroffenen hatte zu diesem Zeitpunkt längst die Diagnose erhalten. Die erhöhte Fallzahl lässt sich daher nicht durch ein gestiegenes Bewusstsein für die Krankheit erklären, schreiben die Forscher.

In Schweden, Norwegen, Frankreich und Irland haben Forscher ebenfalls über erhöhte Narkolepsie-Fallzahlen berichtet. Dagegen zeigen Daten aus Kanada und Großbritannien keinen Anstieg. Das deutet aus Sicht der Wissenschaftler darauf hin, dass andere Faktoren mit hineinspielen.

Auch Daten aus China zeigten einen anderen Trend: Dort erkrankten mehr Menschen an Narkolepsie, nachdem sie eine Grippe durchstehen mussten. Die Impfung schien dagegen das Risiko für die Schlafattacken nicht zu steigern.

Bei Narkolepsie gilt allerdings: Menschen mit einer bestimmten Genvariante erkranken öfter – und diese ist in Nordeuropa sehr weit verbreitet. Die finnischen Kinder waren eventuell besonders anfällig für die Nebenwirkung der Impfung.

Eine wichtige Frage lautet in diesem Zusammenhang: Wie entsteht Narkolepsie überhaupt? Dies ist bisher nur zum Teil geklärt. Betroffene schütten geringere Mengen des Hormons Hypocretin aus, das den Schlaf-Wach-Rhythmus mitkontrolliert. DasImmunsystem zerstört anscheinend die Zellen, die das Hormon produzieren, es handelt sich demnach um eine sogenannte Autoimmunkrankheit.

Der von GlaxoSmithKline (GSK) hergestellte Impfstoff Pandemrix, der auch in Deutschland gespritzt wurde, enthält ein sogenanntes Adjuvans. Diese als AS03 bezeichnete Substanz verstärkt die Immunantwort, was den Grippeschutz verbessern soll. Als Nebenwirkung könnte die Impfung jedoch schon laufende autoimmmune Prozesse beschleunigt oder sie bei besonders gefährdeten Menschen in Gang gesetzt haben, vermuten die Forscher.

Der Impfstoff war eine Entwicklung für den Notfall, er sollte bei einer Grippe-Pandemie besonders schnell einsatzbereit sein. Experten fürchteten, dass eine weltweite Grippewelle Millionen Todesopfer fordern könnte, wie etwa 1918 die Spanische Grippe. Laut Abschlussbericht der WHO starben mehr als 18.400 Menschen an der Schweinegrippe.

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Wegen der Adjuvantien war Pandemrix von Beginn an umstritten. In Deutschland blieben die Bundesländer, die viele Millionen Impfdosen gekauft hatten, auf dem größten Teil sitzen. Die finnischen Behörden beschlossen im August 2010 wegen des Narkolepsie-Verdachts, dass Pandemrix nicht weiter verwendet wird.

Warum nur Kinder und Jugendliche häufiger an Narkolepsie erkrankten, nicht aber Erwachsene, können die finnischen Forscher noch nicht beantworten – aber die Daten der kommenden Jahre sollten das klären.

Möglich ist, dass die Impfung das Einsetzen der Narkolepsie im Wesentlichen beschleunigt hat, also Kinder und Jugendliche erkrankt sind, die die Krankheit sonst später entwickelt hätten. Dann müssten die Neudiagnosen in den kommenden Jahren in Finnland seltener werden.

Möglich ist aber auch, dass der Verlauf bei Erwachsenden schleichender ist als bei Kindern und Jugendlichen. Dann würden in den kommenden Jahren mehr Narkolepsie-Fälle diagnostiziert.

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Quelle: Corbis/Der Spiegel vom 29.03.2012

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